Das wandernde Feuer
dem Gipfel des Berges. Sie begeisterte selbst den bedachtsamen Lydan, und er ließ zu, dass seine Augen ebenfalls die Farbe eines Kristalls annahmen, während Ra-Tenniel den Thron veranlasste, mit voller Kraft zu leuchten, und er sprach die erforderlichen Worte, um den Bann aufzuheben, den Lathen Nebelwirker nach dem Bael Rangat dem Lande auferlegt hatte. Und die Lios Alfar sangen einstimmig das Loblied des Anblicks der ungetrübten Sterne über ihren Köpfen und des Wissens, dass zum ersten Mal seit tausend Jahren das Licht Daniloths im ganzen Nordland Fionavars die Nacht zum Tage machen würde.
Natürlich wurde dadurch ihr Standort preisgegeben, und eben dies war der heldenhafte Zweck ihres Tuns. Sie machten sich zu einem Köder, dem verlockendsten Köder, den es gab, um Rakoth Maugrim von Starkadh herabzulocken.
Die ganze Nacht über blieben sie wach. Keiner hatte den Wunsch zu schlafen, nicht, solange sie die Sterne und dann den zunehmenden Mond betrachten konnten. Und nicht, solange ihre Grenzen nach Norden hin offen waren, wo, wie sie wussten, der Entwirker inmitten des Ewigen Eises auf seinen Zinnen hocken und ihr herausforderndes, schillerndes Leuchten sehen würde. Sie sangen das Loblied des Lichtes, auf das ihn auch ihre reinen Stimmen erreichten, und die reinste aller Stimmen gehörte Ra Tenniel, dem Fürsten der Lios Alfar.
Am Morgen erneuerten sie die Verhüllung des Nebelwirkers. Die man geschickt hatte, an den Grenzen Wache zu halten, kehrten zum Atronel zurück mit der Nachricht, ein gewaltiger Sturm heule südwärts über die öde, kahle Ebene.
Licht ist schneller als Wind. In dem Gebiet südlich des Rienna erblickten die Dalrei den Schimmer über Daniloth, sobald er aufleuchtete. Der jüngste Sturm jedoch würde einige Zeit brauchen, bis er sie erreicht hatte.
Was nicht heißen soll, es wäre nicht schon kalt genug gewesen auf der Wacht vor den Toren, wo soeben Navon vom dritten Stamm seine Runde antrat. Ein Reiter der Dalrei zu sein war für einen, der erst vor kurzem sein Totemtier erblickt hatte, immer noch eine Sache von großem Reiz, aber sie hatte auch ihre weniger angenehmen Seiten für einen Vierzehnjährigen, der auf Ausschau nach Wölfen in die weiße Winternacht hinausstarren musste, während ihm der Wind am Mantel aus Eltorleder zerrte, auf der Suche nach den dünnen Knochen, die darunter steckten.
Während sich die Nachricht vom Licht weit im Nordwesten mit Windeseile in den dicht aneinander gedrängten Lagern verbreitete, konzentrierte Navon sich auf seine Wache. Anlässlich seiner ersten Jagd als vollwertiger Reiter hatte er einen Fehler begangen – seine Absicht, sich beim Erlegen besonders hervorzutun, hatte sich als einer der Fehlschläge erwiesen, die Levon dan Ivor dazu verleitet hatten, sein Leben zu riskieren, indem er sich an Revors Jagdweise versuchte. Versuchte und damit Erfolg hatte. Und obwohl der Jagdführer des dritten Stammes ihm gegenüber nie ein Wort verloren hatte, gab Navon sich seither große Mühe, die Erinnerung an seinen Leichtsinn zu tilgen.
Um so mehr, da jeder Angehörige des dritten Stammes nach den Ereignissen in Celidon, als die Schneefälle einsetzten und die Wölfe begonnen hatten, die Eltor zu reißen, noch mehr Stolz und Verantwortungsgefühl hegte als zuvor. Navon erinnerte sich, wie ihm übel geworden war beim ersten Anblick hingeschlachteter Anmut, dort im Gebiet zwischen Adein und Celidon selbst, wie zum Hohn ganz nahe den Steinen, welche die Mitte der Ebene markierten. Denn während die Dalrei bei einem Jagdzug an die fünfzehn oder zwanzig dieser leichtfüßigen Tiere erlegen mochten, und zwar unter Einhaltung ihres strengen Jagdgesetzes, waren an jenem Tag die vereinten Reiterscharen des dritten und des achten Stammes über eine niedere Erhebung des Landes geritten und hatten dahinter zweihundert Eltor im Schnee liegen gesehen, deren Blut sich abscheulich rot auf die weißverschneite Ebene ergoss.
Es war der Schnee, der ihr Schicksal besiegelt hatte. Denn die Eltor, auf grasbewachsenem Boden so flink, dass die Menschen von einem Zug Eltor sprachen, nicht von einer Herde, besaßen Hufe, die für das Laufen durch tiefen Schnee ungeeignet waren. Sie versanken darin, und ihre fließende Anmut verwandelte sich in linkische, unbeholfene Bewegung – und sie wurden für die Wölfe zu leichter Beute.
Immer zogen die Eltor nach Süden, um den Schnee hinter sich zu lassen, immer folgten ihnen die Dalrei in das Land der milderen Witterung an
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