Das war eine schöne Reise
Otto Lobedanz folgte ihm, er war kein starker Raucher, aber jetzt hatte er das dringende Bedürfnis nach einer Zigarette. Er bot Herrn von Berg seine Packung an, und der bediente sich und gab Otto Lobedanz Feuer.
»Ich bin der friedlichste Mensch von der Welt«, knirschte Herr von Berg, »aber diesem Marzipanschweinchen mit dem seligen Pütterich könnte ich den Kragen umdrehen.«
»Ich glaube, dabei würde sogar meine Mutter mitmachen«, grinste Otto Lobedanz. »Sie hat sonst gar nichts Mörderisches an sich, aber wenn jemand auf der Beamtenehre herumtrampelt, dann garantiere ich für nichts.«
»Großer Manitou, in was für ein Abteil sind wir geraten!«
»Das Durchschnittsalter ist ein bißchen hoch«, gab Otto Lobedanz zu, »aber über Fräulein Sonntag können wir uns doch nicht beklagen, wie?«
»Haben Sie eine Pupille auf die Dame geworfen?« fragte Herr von Berg und blinzelte mit dem linken Auge.
»Nein ...«, murmelte Otto Lobedanz.
»Ich möchte um Himmels willen nicht ins Fettnäpfchen treten, Herr Lobedanz«, sagte Herr von Berg zögernd, »jeder nach seiner Fasson, aber für Knaben unseres Alters finde ich die Reise in Begleitung einer Aufsichtsperson nur halb so spaßig.«
»Ich auch, Herr von Berg«, sagte Otto Lobedanz mit einem hörbaren Seufzer; »ursprünglich wollte ich nach Mallorca fliegen. Ich hatte die Flugkarte schon in der Tasche...«
»Na und, weshalb sind Sie nach Rimini umgestiegen?«
»Dreimal dürfen Sie raten. Meine Mutter wäre bei dem Gedanken, mich allein im Flugzeug zu wissen, gestorben. Ich weiß nicht, ob Sie das Pech hatten, einziger Sohn zu sein.«
»Nee, wir waren daheim ein ganzer Haufen Kinder.«
»Da haben Sie ausgesprochenes Glück gehabt.«
»Möglich, aber ich meine, daß ich meine alte Dame zu größerer Selbständigkeit erzogen hätte.«
»Das habe ich leider versäumt.«
Hinter ihnen ging die Tür, und Fräulein Sonntag trat auf den Gang hinaus. Die beiden jungen Männer rückten zur Seite, um ihr das Fenster zu überlassen.
»Der arme Herr Schnürchen...!« sagte sie.
»Was gibt’s denn?« fragte Herr von Berg.
»Ich fürchte, die Witwe des seligen Pütterich wirft ihre Netze nach ihm aus. Sie hat ihn schon nach seinem Alter gefragt...«
»Wie alt ist er denn?« fragte Otto Lobedanz.
»Zweiundsechzig. Und sie ist einundfünfzig. Und wenn ihr Pütterich noch leben würde, wäre er bereits siebenundsechzig. Aber den Altersunterschied von sechzehn Jahren hätte sie nie verspürt...«
»Donnerwetter«, meinte Herr von Berg, »die geht aber ‘ran wie Blücher.«
»Und jetzt ist sie gerade dabei, Herrn Schnürchen in ihre Fabrikationsgeheimnisse einzuweihen...«
Tatsächlich schnippelte Frau Pütterich mit einer Nagelschere an einem fettigen Pergamentpapier herum und rollte das Schnittmuster mit erstaunlich geschickten Fingern zusammen. Es sah wie eine halberblühte weiße Rose aus, nur, daß diese Rose kräftig nach Tilsiter duftete.
»Wir stellen die Blumen natürlich aus Geweben und neuerdings auch aus Schaumgummi her. Zuerst werden die Rohformen geschnitten, gefärbt und angefeuchtet, und dann werden sie gekröst.«
»Wie bitte?« fragte Herr Schnürchen amüsiert.
»Gekröst — das heißt, man preßt sie mit einem warmen Eisen gegen Platten, die nach echten Blütenblättern gegossen wurden und die feinste Äderung wiedergeben...«
»Schau an!« murmelte Herr Schnürchen. Auch Frau Lobedanz zeigte für Frau Pütterichs Erzeugnisse Interesse.
»Ich sage Ihnen, wenn ich Sie vor eine Vase mit echten Nelken stelle und vor eine andere mit Pütterichs Kunstblumen — und Sie raten lasse, welches die echten sind — Sie greifen unter Garantie daneben!«
Herr Schnürchen sah Frau Pütterich an, als ob es ihn vor soviel Kunstfertigkeit ein wenig grause.
»Aber die Herstellung dieser feinsten Blumen zahlt sich nicht mehr aus. Ich habe den Betrieb auf Dekorationsblumen umgestellt und — Sie werden lachen — auf Schießbudenblumen. Und das ist mein bestes Geschäft geworden. Sie würden staunen, wenn ich Ihnen verraten würde, was ich im Jahr umsetze.«
»Mein Kompliment!« sagte Herr Schnürchen, »Sie sind eine tüchtige Geschäftsfrau.«
»Da kenne ich keine falsche Bescheidenheit«, meinte Frau Pütterich, »ich bin wirklich auf Draht. Aber was bleibt mir auch anderes übrig? Einmal versuchte ich es mit einem Vertreter. Was soll ich Ihnen sagen? Der Kerl bereiste ein Jahr lang meine Kundschaft, und dann machte er sich selbständig und ist
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