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Das war eine schöne Reise

Das war eine schöne Reise

Titel: Das war eine schöne Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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einer hohen Schulter dazu. So was ist wie ein Gerichtsurteil auf lebenslängliche Einzelhaft — wie mein Pütterich immer zu sagen pflegte.« Sie stopfte sich den Rest der Käsesemmel in den Mund und sah Herrn Schnürchen fragend an: »Und wovon leben Sie, wenn die Frage erlaubt ist?«
    »Die will es aber genau wissen!« knurrte Herr von Berg.
    »Von meiner Rente, von gelegentlichen Konzertreisen und von ein wenig Musikunterricht, den ich nebenbei gebe, wenn es nicht allzu schlimme Stümper sind.«
    »Musiker und Künstler...«, sagte Frau Pütterich und sog Luft durch den Eckzahn, »hm, unsereiner, der mit beiden Füßen im Leben steht, kann damit nicht viel anfangen. Aber es freut mich, daß bei Ihnen soviel herausspringt, daß Sie sich Ihre Sommerreise leisten können.«
    Otto Lobedanz hoffte, daß der kleine Herr Schnürchen der dicken Witwe Pütterich mal richtig übers Maul fahren würde. Was ging es sie an, wer sich hier eine Urlaubsreise leisten konnte und wer nicht!
    »Ach, wissen Sie«, sagte Herr Schnürchen und sein Gesicht begann zu leuchten, als würde es von innen erhellt, »ich bin sehr anspruchslos, und man kann auch ohne Geld sehr weit in der Welt herumkommen. In den zwanziger Jahren bin ich zu Fuß nach Konstantinopel marschiert, ganz allein, mit dreißig Mark in der Tasche — und ich bin mit vierzig zurückgekehrt ...«
    »Sie sind richtig getippelt?« fragte Frau Pütterich entsetzt.
    »Ich würde es wandern nennen...«
    »Bravo!« rief Otto Lobedanz spontan.
    »...denn nur beim Wandern lernt man Land und Leute wirklich kennen, und ganz nebenbei erwandert man sich sogar die Sprache des Landes. Sprechen Sie eigentlich Italienisch?«
    »Lieber Gott, das sollte mir einfallen!« rief Frau Pütterich fast empört, »wo jeder Kellner unten fließend Deutsch spricht. Aber jedem Tierchen sein Pläsierchen, wie mein Pütterich zu sagen pflegte.«
    Dieser kleine Herr Schnürchen gefiel Otto Lobedanz immer besser, er war bescheiden, ohne im geringsten duckmäuserisch zu sein, und er machte den Eindruck eines gescheiten Mannes, der Erfahrung und Humor besaß.
    »Als Junge bin ich mit zwei Freunden einmal per Fahrrad nach Wien gestrampelt. Wir haben in Scheunen übernachtet und im Freien abgekocht, es war ein richtiges Abenteuer...«
    »Und ich habe mich daheim um dich zu Tode geängstigt!« rief Frau Lobedanz.
    »Warum eigentlich?« fragte Herr Schnürchen, »hatte Ihr Sohn zu viel Geld dabei?«
    »Daß ich nicht lache — keine zwanzig Mark.«
    »Ich nehme an, daß Herr Pütterich in diesem Falle gesagt hätte: Wer nichts hat, bei dem ist auch nichts zu holen«, sagte Herr Schnürchen mit einem verschmitzten Lächeln. »Wovor haben Sie sich also geängstigt?«
    »Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben, Herr Schnürchen...«
    »Leider nicht, Frau Lobedanz, ich war mein Leben lang Junggeselle.«
    »Dann können Sie es auch nicht verstehen. Aber wenn man den Mann schon in jungen Jahren verloren hat, dann macht man sich um den einzigen Sohn eben Sorgen.«
    »Ich verstehe Sie sehr gut, Frau Lobedanz... «
    »Stellen Sie sich den Zufall vor, Herr Schnürchen«, rief Frau Pütterich, »Herr Lobedanz war Briefträger und hat mir oft genug Moses und die Propheten ins Haus gebracht.«
    »Er war Oberbriefträger«, berichtigte Frau Lobedanz mit einiger Schärfe, »und er war Beamter!«
    »Aber er war trotzdem ein netter Mensch.«
    »Was wollen Sie denn damit sagen?«
    »Ach, wissen Sie, Frau Lobedanz«, meinte Frau Pütterich frei-inütig, »wenn man im Geschäftsleben steht wie ich und als Witwe dazu, und dann immer den Papierkrieg und die ewigen Scherereien mit den Behörden hat, dann wird das Wort Beamter bei einem sozusagen ein erotischer Punkt.«
    Fräulein Sonntag preßte plötzlich die Hand vor den Mund, um zu verhindern, daß das Apfelstück, das sie soeben heruntergebissen hatte, im Gesicht oder auf dem Schoß von Herrn von Berg landete. Auch Otto Lobedanz bekam einen Lachanfall.
    »Habe ich da einen Blödsinn gesagt?« fragte Frau Pütterich. »Jedenfalls haben Sie verstanden, was ich meinte. Aber schon mein Pütterich sagte immer: Red deutsch, Dorchen, mit den Fremdwörtern hast du meistens kein Glück.«
    Beim Wort Pütterich erhob sich Herr von Berg so rasch, als würde er von einer plötzlichen Übelkeit befallen, und stieg über die Beine von Otto Lobedanz hinweg auf den Gang hinaus. Er riß draußen das Fenster auf und beugte sich heraus, so daß der scharfe Fahrtwind ihm den Scheitel zerstrubbelte.

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