Das war eine schöne Reise
und Bananen auf der rechten mittleren Liege ab und zog sein Brillenfutteral aus der Brusttasche, um Brille, Brieftasche und Börse unter dem Kopfkeil zu verwahren. Er griff in seine Taschen, rechts, links, und begann sich abzuklopfen, als suche er sich nach einer verborgenen Waffe ab. Seine Bewegungen wurden von Sekunde zu Sekunde nervöser.
»Was haben Sie, Herr Schnürchen?« fragte Otto Lobedanz, der ihn beobachtete, »vermissen Sie etwas?«
»Meine braune Geldbörse...«, antwortete Herr Schnürchen sichtlich bestürzt; »um Himmels willen, ich werde sie doch nicht verloren haben!«
»Wann hatten Sie sie zuletzt in der Hand?«
»Am Kiosk, wo ich das Obst einkaufte«, stammelte Herr Schnürchen und suchte seine Taschen noch einmal ab. »Sie ist weg«, sagte er verstört, »ich habe sie verloren...«
»Oder Sie haben sie am Kiosk liegenlassen«, meinte Herr von Berg.
»Wo hatten Sie Ihre Börse verwahrt?« fragte Fräulein Sonntag.
Herr Schnürchen klopfte auf die rechte Jackentasche: »Hier, glaube ich, wo ich sie immer trage...«
»Kamen Sie an der Sperre ins Gedränge?«
»Und ob wir ins Gedränge kamen!« rief Frau Pütterich empört, »kaum, daß man noch Luft kriegte!«
»Hoffentlich hat man Sie nicht bestohlen«, meinte Fräulein Sonntag, »ich erlebe das nicht zum erstenmal.«
Otto Lobedanz warf einen Blick auf seine Uhr: »Wir haben noch fünf Minuten bis zur Abfahrt. Kommen Sie, Herr von Berg, zeigen Sie mir den Kiosk, wo Sie eingekauft haben. Vielleicht ist noch was zu retten.« Er stürmte davon, und Herr von Berg rannte hinter ihm her.
»Mach schnell, Otto!« rief Frau Lobedanz und preßte die Hände gegen ihr Herz: »Jetzt fehlt nur noch, daß der Zug ohne die beiden abgeht!«
»Wieviel Geld hatten Sie denn dabei, Herr Schnürchen?« fragte Frau Pütterich teilnahmsvoll.
»Mein ganzes Erspartes«, murmelte er niedergeschlagen, »genau vierhundertundzwanzig Mark...«
»Aber Herr Schnürchen!« rief Frau Pütterich und schlug die kleinen Hände zusammen, »soviel Geld trägt man doch nicht in der Tasche mit sich herum! Damit fordert man das Diebsgesindel ja direkt heraus. Besitzen Sie denn keinen Brustbeutel?« Und sie begann, an den Knöpfen ihrer Bluse zu nesteln...
»Ich bitte Sie um alles in der Welt, Frau Pütterich«, rief Frau Lobedanz mit starrem Blick, »Sie werden doch nicht...!«
»Jedenfalls langt mir da keiner hin!« stellte Frau Pütterich fest und knöpfelte die Bluse wieder zu.
Frau Lobedanz stand wie auf glühenden Kohlen. Sie beobachtete den Zeiger der elektrischen Bahnhofsuhr, der von Minute zu Minute sprang. Neben ihr beugte sich Fräulein Sonntag weit aus dem Fenster. Die Türen des Zuges wurden geschlossen. Aus den Lautsprechern dröhnte die Stimme des Fahrdienstleiters über den Bahnsteig, daß der Feriale-Expreß in Richtung Bozen—Bologna sogleich abginge...
»Sie kommen!« rief Fräulein Sonntag und winkte den beiden jungen Herren zu, die im gleichen Augenblick, in dem der Mann mit der roten Mütze den Stab hob, keuchend in den Zug sprangen.
»Wie Sieger sehen die beiden nicht aus«, sagte Fräulein Sonntag leise zu Frau Lobedanz, »ich fürchte, daß unser Herr Schnürchen sein Urlaubsgeld los ist.«
Sie kamen tatsächlich mit leeren Händen zurück.
»Wollen Sie es ihm sagen, Herr von Berg?« fragte Otto Lobedanz auf dem Wege zum Abteil.
»Wer überbringt schon gern Trauerbotschaften? Bringen Sie es ihm lieber bei.«
Herr Schnürchen nahm die böse Nachricht bedrückt, aber mit großer Fassung entgegen. »Ich hatte nichts anderes erwartet«, murmelte er und bedankte sich bei den beiden jungen Leuten für die Mühe, die sie sich seinetwegen gemacht hatten. Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Geschichte des Verlustes hatte sich inzwischen auch in den Nachbarabteilen herumgesprochen, und ein gutes Dutzend Reisender drängten sich vor dem Abteil zusammen, um den armen Kerl zu sehen, der nun mit leeren Taschen in den Urlaub fuhr. Man sparte auch nicht mit guten Ratschlägen...Lieber Gott, als ob dadurch ein Pfennig von dem verlorenen oder gestohlenen Geld zurückgewonnen würde. Otto Lobedanz entriegelte die mittleren Liegen und klappte sie wieder auf, so daß man sich niedersetzen konnte. Er zog seine Mutter, die den Fall auf dem Gang lebhaft diskutierte, ins Abteil zurück, drückte sie sanft auf ihren Sitz und warf die Tür mit einem energischen Ruck zu. Er erntete dafür von Herrn Schnürchen einen dankbaren Blick.
»Und was nun, Herr Schnürchen?«
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