Das war eine schöne Reise
fragte Frau Pütterich. »Besitzen Sie wenigstens noch eine kleine Reserve?«
Herr Schnürchen griff mit einer verzagten Bewegung in seine Jackentasche und brachte drei Einmarkstücke zum Vorschein, die er am Kiosk auf sein Fünfmarkstück herausbekommen hatte: »Das ist alles...«, sagte er mit dem Versuch, ein tapferes Lächeln aufzusetzen.
Frau Lobedanz schnupfte auf und fing mit der Spitze des Mittelfingers eine Träne von der Wimper ab.
»Es ist meine eigene Schuld«, murmelte Herr Schnürchen, »ich bin als Verlierer geboren. Die Schirme, die ich schon stehengelassen habe, kann ich gar nicht mehr zählen. Seit Jahren habe ich mir keinen Schirm mehr angeschafft...«
»Wie mein Pütterich! Dorchen, sagte er immer, sei nur froh, daß mein Allerwertester angewachsen ist, sonst müßtest du ihn jeden Tag von der Polizei suchen lassen. So war der Mann. Immer witzig...«
»Sehr witzig!« knurrte Otto Lobedanz, »aber die drei Mark, die Herr Schnürchen noch besitzt, finde ich weniger spaßig.«
»Ach, lassen Sie nur«, sagte Herr Schnürchen ergeben, »irgendwie komme ich schon durch. Schließlich sind Unterkunft und Verpflegung im Preis der Reise inbegriffen. Vor dem Hungertod bin ich geschützt, ich werde also das Strandleben in vollen Zügen genießen können.«
»Was wollten Sie denn sonst genießen?« fragte Herr von Berg.
»Nun, ich wollte in Ravenna wieder einmal das Grabmal des Großen Theoderich besuchen, San Giovanni mit den Fresken von Giotto, das Mausoleum der Kaiserin Galla Placidia und vor allem Sant’Apollinare...« Sein Gesicht begann aufzuleuchten. —
»Ich kenne nur Apollinaris«, murmelte Herr von Berg, »und das schmeckt wie eingeschlafene Füße.«
Fräulein Sonntag warf ihm einen eisigen Blick zu. Frau Pütterich aber griff nach ihrer Handtasche und öffnete den blanken Bügel Verschluß: »Sie werden nach Ravenna fahren, Herr Schnürchen!« sagte sie gebieterisch, »und Sie werden alle Grabmäler aufsuchen, an die Sie sich so gern zu erinnern scheinen. Ich für meine Person wüßte mir etwas Besseres als olle Gräber und Kirchen zu besichtigen. Aber jeder nach seinem Gustav, wie mein Pütterich zu sagen pflegte.« Sie öffnete das Portemonnaie und fischte zwei Zwanzigmarkscheine aus dem Banknotenfach. »Die nehmen Sie jetzt! Und ob Sie mir das Geld gelegentlich zurückgeben wollen oder nicht, das ist mir piepegal. Jedenfalls lasse ich Sie nicht mit hohler Brust nach Rimini gehen!« Sie drückte Herrn Schnürchen das Geld in die Hand und fügte streng hinzu: »Kein Wort der Widerrede, wenn Sie sich nicht mit mir verfeinden wollen!«
Und plötzlich zückten sie alle ihre Börsen. Frau Lobedanz schielte zwar ein wenig ängstlich hin, als ihr Otto einen grünen Fünfzigmarkschein herauszog, um ihn Herrn Schnürchen auf den Schoß zu legen, aber sie ließ es wortlos geschehen. Fräulein Sonntag legte einen Zwanzigmarkschein dazu. »Nur ein Lump gibt mehr, als er hat«, sagte sie entschuldigend. Herr von Berg zögerte einen Augenblick, aber dann knisterte ein nagelneuer Fünfzigmarkschein in seiner Hand: »Das wäre ja gelacht«, sagte er, »wenn der Spaß am Geld scheitern sollte. Und wenn Sie ein Wort reden sollten, Herr Schnürchen, dann übersehe ich Sie in Zukunft auf der Straße!«
Herr Schnürchen wurde abwechselnd rot und blaß. Er war so bewegt, daß er vorerst kein Wort herausbrachte und mit dem Geld im Schoß in seiner Ecke saß, als wäre er das kleine Mädchen, dem die goldenen Sterntaler in die Schürze geregnet waren.
»Sie beschämen mich...«, stammelte er schließlich mit verquollener Stimme und schien tatsächlich den Tränen nahe zu sein. »Sie beschämen mich...«
»Nun brechen Sie sich bloß nichts ab«, sagte Frau Pütterich, die es mächtig wurmte, als gutsituierte Geschäftsfrau nicht nur von Herrn von Berg, der gut getucht zu sein schien, sondern auch von den Hinterbliebenen eines Briefträgers an Großzügigkeit übertroffen worden zu sein. »Das war natürlich nur für den Anfang, mehr hatte ich nicht lose im Portemonnaie.« Sie legte die Hand an jene Stelle ihres mächtigen Busens, wo sie ihre Reisekasse dem Zugriff langer Finger entzog. »In Rimini reden wir weiter.«
Herr Schnürchen verwahrte die Scheine mit zitternden Händen in seiner Brieftasche: »Ich danke Ihnen«, sagte er ergriffen, »ich danke Ihnen von Herzen. Ich hätte nie geglaubt, daß es unter den Menschen soviel Hilfsbereitschaft gibt. Sie alle haben mich eines Besseren belehrt. Ich nehme
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