Das war eine schöne Reise
Bahnhofsrestaurant. Otto Lobedanz verlor Herrn von Berg und Fräulein Sonntag für kurze Zeit aus den Augen. Am liebsten hätte er sich selbständig gemacht und an einem der zahlreichen Kioske einen Becher Bier getrunken und ein paar Würstchen verzehrt. Er fühlte sich als drittes Rad am Wagen, und er fühlte sich Herrn von Berg hoffnungslos unterlegen. Das war genau der Mann, der er manchmal heimlich zu sein wünschte. Flott, elegant, draufgängerisch und ohne Hemmungen den Frauen gegenüber. Er war fest davon überzeugt, Herrn von Berg und Fräulein Sonntag in Rimini ihre Wege gemeinsam gehen zu sehen.
»Wir haben Herrn Lobedanz verloren«, rief Fräulein Sonntag ihrem Begleiter zu.
»Wäre das so schlimm?« fragte Herr von Berg.
»Er wird uns suchen...«
»Sagen Sie, Fräulein Sonntag, wir haben eine Stunde Zeit. Muß er uns eigentlich im Bahnhofsrestaurant finden? Sehen Sie nur, wie sich das Volk dort hineinquetscht. Es muß doch in der Nähe des Bahnhofs ein paar andere nette Lokale geben...«
»Ein halbes Dutzend, und direkt dem Bahnhof gegenüber.«
»Na, wunderbar!« rief er und griff nach ihrem Arm.
»Auf Wiedersehen, Herr von Berg«, sagte sie und machte sich frei, »gehen Sie, aber versäumen Sie den Zug nicht!« Sie drehte sich um und ging ein paar Schritte dem Strom der Reisenden entgegen. Herr von Berg verzog das Gesicht, als entdecke er in einer Himbeere eine Made. Wie sagte der selige Pütterich in solch einem Falle? — Was man hat, das hat man, was einen aber erwartet, ist höchst ungewiß... Und er lief Fräulein Sonntag nach: »Hallo, Fräulein Sonntag, was haben Sie denn?«
»Ich habe etwas gegen Ihren Vorschlag«, sagte sie kühl und stellte sich auf die Zehenspitzen, »und da ist ja auch schon Herr Lobedanz!« Sie hob den Arm und winkte Otto Lobedanz zu. »Wo haben Sie bloß gesteckt?« rief sie ihm entgegen. »Herr von Berg war drauf und dran, mich zu verschleppen.«
Herr von Berg bekam einen roten Kopf: »Ich dachte, Sie hätten sich der reiferen Jugend angeschlossen, Herr Lobedanz«, murmelte er.
»Kommen Sie schon!« rief Fräulein Sonntag, »Bahnhofswirtschaften gibt es überall und sie ähneln sich wie ein Ei dem anderen. Ich bin dafür, daß wir uns ein wenig ins Innsbrucker Nachtleben stürzen.« Sie eilte voran und entdeckte auf der anderen Seite des Bahnhofsplatzes die rote Lichtreklame einer Tiroler Trinkstube.
»Ich glaube, Sie haben bei Fräulein Sonntag Chancen«, flüsterte Herr von Berg Otto Lobedanz zu.
»Wie kommen Sie darauf?« stotterte Otto Lobedanz. »Ich habe davon bis jetzt nichts gemerkt.«
Fräulein Sonntag öffnete die Tür des kleinen Lokals. Ein Zitherspieler ließ gerade die unverwüstliche Leitmelodie aus »Der dritte Mann« hören.
»Das hat uns gerade noch gefehlt!« stöhnte Herr von Berg, der Fräulein Sonntag über die Schulter blickte und mit seinem Rücken Otto Lobedanz die Sicht versperrte.
»Was ist denn los? Stört Sie der Zitherspieler?«
Herr von Berg trat einen kleinen Schritt zur Seite, und da sah Otto Lobedanz, daß Herr Schnürchen den gleichen Einfall gehabt hatte und seine Damen bereits aus einem Stechheber mit Rotwein versorgte. Was blieb ihnen anderes übrig, als die Einladung von Herrn Schnürchen anzunehmen, der ohnehin befürchtete, mit dem Litergefäß allein fertig werden zu müssen, denn die Damen Lobedanz und Pütterich nippten nur an ihren Achtelgläschen. Die beiden jungen Männer löschten ihren Durst zuerst mit einem kühlen Hellen, ehe sie zum Wein übergingen. Trotz des ersten Schreckens wurde es eine recht gemütliche halbe Stunde. Als sie aufbrachen, war der Stechheber leer, und sowohl Frau Pütterich wie auch Frau Lobedanz versicherten kichernd, einen kleinen Zacken in der Krone zu haben, denn jede der Damen hatte zwei Achtelgläser geleert. Herr Schnürchen ließ es sich trotz des Sträubens von Frau Pütterich nicht nehmen, die Zeche zu begleichen.
»Wir können Sie doch nicht berauben, Herr Schnürchen!«
Er klopfte auf seine Geldtasche: »Lassen Sie mir die kleine Freude und glauben Sie mir, daß Sie keinen Armen berauben. Ich bin daheim sehr anspruchslos, aber einmal im Jahr möchte ich wie ein richtiger Verschwender leben. Dafür spare ich elf Monate lang!«
»Ich finde unseren kleinen Flötisten rührend«, sagte Fräulein Sonntag, als sie in Gesellschaft von Otto und Frau Lobedanz zum Zug zurückging. Die anderen hatten sich von ihnen getrennt, um an den Kiosken in der Bahnhofshalle noch ein wenig
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