Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das war eine schöne Reise

Das war eine schöne Reise

Titel: Das war eine schöne Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
zugeflogen war.
    »Wieviel war denn drin?« fragte einer der Herren.
    »Über vierhundert Mark!« antwortete Fräulein Sonntag, über die Niedertracht dieses gemeinen Diebstahls bis ins Innerste empört. Die Herren zeigten teilnahmsvolle Gesichter.
    »Sind Sie total blank?« fragte der Dicke zartfühlend.
    »Es war alles, was Herr Schnürchen auf die Reise mitgenommen hatte. Es war sein ganzes Erspartes!«
    »Schweinerei!« knurrte der Dicke und sah sich im Kreise seiner Skatbrüder um. »Gib mal deinen Hut her, Emil, du hast so einen schönen großen Kopf...« Er zog seine Geldbörse und ließ als erster einen Zehnmarkschein in den Hut flattern. »Munter, munter, meine Herren! Eine kleine Gabe für unser Ferienkind!«
    Die spontane Sammlung ergab sechzig Mark. Herr Schnürchen stand da wie mit Blut übergossen: »Aber, meine Herren«, stammelte er, »das geht doch nicht, das kann ich doch nicht annehmen...« Aber der Dicke stopfte ihm die Scheine einfach in die Jackentasche: »Nun seien Sie bloß nicht albern, Männeken«, sagte er und klopfte Herrn Schnürchen auf die Schulter, »Sie tun damit etwas für unsere Gesundheit. Wir hätten das Geld doch nur versoffen.«
    »Kommen Sie, Herr Schnürchen«, sagte Fräulein Sonntag und zog den kleinen Flötisten sanft auf den Gang hinaus, »Sie können es brauchen, und ich finde es ganz richtig, daß das Schicksal Sie jetzt ein bißchen verwöhnt.«
    »Es ist mir schrecklich peinlich«, sagte er kopfschüttelnd, »ich komme mir wie ein Almosenempfänger vor. Und mich beschämt diese Freundlichkeit, die mir von allen Seiten zuteil wird. Denn ich muß gestehen, daß ich bisher von meinen Mitmenschen nicht allzuviel gehalten habe. Und nun bin ich von soviel Hilfsbereitschaft ganz verwirrt...«
    »Ich möchte nur wissen, wer der Lump war, der Sie bestohlen hat!« sagte Fräulein Sonntag heftig. »Die Vorstellung, daß der Mensch sich im Zuge befindet, macht mich ganz krank.«
    »Lassen Sie nur, Fräulein Sonntag. Ich weiß jetzt ganz genau, daß ich die Geldtasche am Kiosk liegenließ. Vielleicht wäre der Finder ehrlich gewesen, wenn seine Reisekasse besser gefüllt gewesen wäre. Aber vierhundert Mark...diese Versuchung war wohl zu groß...«
    »Entschuldigen Sie den Gauner etwa noch?«
    »Nein, aber ich erwärme mich an dem Gedanken, durch meinen Verlust in so wenigen Stunden so viele gute Menschen kennengelernt zu haben. Ich muß gestehen, daß ich seit vielen Jahren nicht mehr so glücklich war wie in diesem Augenblick.«
    »Sie sind mir vielleicht ein komischer Heiliger, Herr Schnürchen! Wenn man Sie hört, könnte man fast denken. Sie wären noch froh darüber, daß man Sie bestohlen hat.«
    »Immerhin, der Verlust hat mich um eine sehr angenehme Erfahrung bereichert...«
    »Die haben Sie aber wahrhaftig sehr teuer eingekauft!« sagte Fräulein Sonntag kopfschüttelnd. »Und überhaupt war es doch eine Selbstverständlichkeit, daß wir Ihnen aus der Klemme halfen.«
    »Meinen Sie?« fragte Herr Schnürchen zweifelnd.

V

    Als Otto Lobedanz erwachte, war es heller Tag. Seine Kehle war so trocken, als hätte er mit Sägemehl gegurgelt. Drüben schlief Herr von Berg mit offenem Mund, er sah nicht sehr intelligent aus. Frau Pütterich sägte noch immer kräftig dahin, und wenn sie die Luft ausblies, klang es, als riefe sie nach dem seligen Pütterich — krchch — Pühtrich — krchch — Püterich. Auch seine Mutter gab sanfte Schnarchgeräusche von sich. Die Luft im Abteil war trotz der offenen Lüftungsklappen verbraucht. Er warf einen Blick auf die Uhr. Sie ging auf halb fünf. Er hatte tatsächlich mehr als vier Stunden fest geschlafen, aber er fühlte sich wie gerädert. Als er sich hinausbeugte, sah er, daß Fräulein Sonntag ihm zublinzelte.
    »Wie spät ist es?« flüsterte sie zu ihm hinauf.
    »Halb fünf«, antwortete er leise, um die Schläfer nicht zu stören, und machte sich daran, die Metalleiter lautlos hinabzuklettern.
    »Helfen Sie mir herunter«, flüsterte Fräulein Sonntag ihm zu und streckte ihm die Hände entgegen. Er umfaßte ihre Achseln und spürte für einen Augenblick ihr ganzes Gewicht auf seiner Brust, ehe ihre Füße den Boden fanden. Es war durchaus keine unangenehme Berührung...
    Er angelte seine Jacke herunter, schlüpfte in seine Schuhe, die er unter der Liege seiner Mutter abgestellt hatte, und öffnete die Abteiltür so leise wie möglich und nur so weit, daß sie beide hinausschlüpfen konnten. Es war ein strahlender Morgen. Der Zug

Weitere Kostenlose Bücher