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Das war eine schöne Reise

Das war eine schöne Reise

Titel: Das war eine schöne Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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hatte die Alpen weit hinter sich gelassen und rollte durch die endlosen Maisfelder der Po-Ebene an verschlafenen, kleinen Stationen vorbei. Eine Pappelallee, die den Schienenstrang rechtwinklig schnitt, verlor sich im Morgennebel.
    Otto Lobedanz schlüpfte in seine Jacke und zog die Schnürsenkel seiner Schuhe fest, ehe er sich mit den Fingern durch das zerstrubbelte Haar fuhr. An seiner Hose entdeckte er ein Dutzend scharfer Bügelfalter. Leider lagen sie quer. Aber auch Fräulein Sonntag sah wie eine ältere Schwester des Struwwelpeter aus.
    »Das war eine Nacht!« seufzte sie und versuchte, ihr verknautschtes Kleid glattzuziehen, »ich habe kein Auge zugemacht.«
    »Sie haben wenigstens Ihre Tasche dabei — mein Waschbeutel liegt in der Handtasche meiner Mutter.«
    »Sie können meine Seife haben und den Kamm auch...«
    »Das Angebot nehme ich gern an.«
    »Dann verschwinde ich jetzt«, sagte sie und nickte ihm zu. Er blickte ihr verträumt nach, bis sie um die Ecke verschwand, und wünschte sich sehnsüchtig, mit Fräulein Sonntag quer um die halbe Welt bis nach Wladiwostok zu reisen, wenn ihm jeden
    Morgen gestattet würde, ihr wie heute beim Aufstehen behilflich zu sein. Ein Glück, daß seine Mutter nichts bemerkt hatte! Das hätte die peinlichsten Szenen geben können...
    Fräulein Sonntag erschien nach wenigen Minuten wieder auf dem Gang und reichte ihm ihren Waschbeutel: »Bis auf die Zahnbürste steht alles zu Ihrer Verfügung, Herr Lobedanz.« Sie trat ans Fenster und schaute auf ein Weizenfeld hinaus, über das der lange Schatten des Feriale-Expreß dahinjagte.
    »Ein herrlicher Tag! Bald werden wir das Meer riechen. In Forli spürte ich es schon immer ganz deutlich in der Nase, und es gibt keinen Geruch, der mir lieber wäre. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, mich ins Wasser zu stürzen. Sie können doch hoffentlich schwimmen, Herr Lobedanz...?«
    »Na, hören Sie!« sagte er fast gekränkt, »ich bin zwar sonst keine besondere Sportkanone, aber beim Schwimmen zieht mir so leicht keiner davon.«
    »Das trifft sich prima, ich bin nämlich eine richtige Wasserratte. Einen Urlaub ohne Wasser könnte ich mir gar nicht vorstellen. Manche Leute zieht es ja mit aller Macht in die Berge. Als Kind mußte ich mit meinen Eltern jeden Sonntag in den Bayerischen Wald. Erstens war es dort am billigsten, zweitens war mein Vater ein großer Marschierer und drittens ein fanatischer Pilzsammler. Das war vielleicht ein Vergnügen! Mir werden noch heute die Knie weich, wenn ich an die Gewaltmärsche denke. Nein, ich will im Urlaub faulenzen, und in der Sonne liegen, und mich im heißen Sand aalen, na ja, und abends ein bißchen tanzen... «
    »Oh...«, murmelte er.
    »Was seufzen Sie?«
    »Mit dem Tanzen ist bei mir leider nicht viel los.«
    »Das bringe ich Ihnen doch in zehn Minuten bei«, sagte Fräulein Sonntag munter.
    Am anderen Ende des Ganges wurde eine Tür geöffnet, und ein Frühaufsteher schwankte gähnend mit einem Handtuch über dem Arm zum Waschraum.
    »Beeilen Sie sich«, sagte Fräulein Sonntag, »in einer halben Stunde stehen die Leute vor den Toiletten Schlange.«
    Im Spiegel starrte ihm ein blasses, übernächtigtes Gesicht mit rot umränderten Augen und einem Vierundzwanzigstundenbart entgegen. Und sein Hemd sah so verknittert und schmutzig aus, als ob er es vier Wochen lang getragen hätte. Er wusch sich und klatschte den Scheitel mit Wasser an den Schädel. Als er den
    Waschraum verließ, warteten draußen tatsächlich schon vier Mitreisende auf Einlaß. Es tröstete ihn, daß die Herren in dem unbarmherzigen Licht der Morgensonne genauso wüst aussahen wie er selber. Fräulein Sonntag empfing ihn mit einer geschälten Orange. Er zierte sich nicht lange und griff dankbar zu. Noch nie im Leben hatte ihm eine Orange so gut geschmeckt.
    »Sie sind wirklich ein Engel, Fräulein Sonntag«, sagte er, während ihm der Saft übers Kinn tropfte.
    »Ich stelle es mir ziemlich unbequem vor, mit Flügeln herumzulaufen. Lassen Sie mich lieber so, wie ich bin.«
    »Selbstverständlich...«, stotterte er und hätte beinahe hinzugefügt, daß sie auch ihm ohne Flügel bedeutend besser gefiele. Draußen flog wieder eine Station vorbei. Crevalcore... Ein Schienenstrang zweigte nach Westen ab. Die Sonne hatte die Frühnebel aufgesogen. Man konnte den Bahndamm und den Lauf der Telegrafenstangen bis an den Horizont verfolgen.
    »Verbringen Sie eigentlich jeden Urlaub in Italien?«
    »Das erste Mal fuhr ich ins

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