Das war eine schöne Reise
Neffe Erich treibt, das geht ja nun fast über die Hutschnur. Aber wenn ein junger Mann im Alter Ihres Sohnes noch immer an Mutters Schürzenband hängt, nein, wissen Sie, alles was recht ist, aber da wäre mir nicht ganz wohl. Das wäre mir direkt ein bißchen unheimlich...«
»Mir auch!« stellte Fräulein Sonntag fest, »und ich weiß auch gar nicht, ob Ihr Sohn sehr davon erbaut wäre, wenn er anhören müßte, wie Sie ihn als Duckmäuser schildern. Diesen Eindruck hat er auf mich nämlich durchaus nicht gemacht.«
Frau Lobedanz wurde abwechselnd rot und blaß: »Als was habe ich ihn geschildert?« rief sie schrill.
»Ich glaube, Sie haben mich ganz gut verstanden«, sagte Fräulein Sonntag liebenswürdig und verließ das Abteil, um »draußen zu probieren, ob man das Meer schon röche<, denn der Zug hatte Forli erreicht und mußte, wenn er keine Verspätung hatte, nach einer knappen halben Stunde am Ziel sein.
»Haben Sie das gehört!« keuchte Frau Lobedanz und fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu, denn es war im Abteil recht warm geworden, »eine impertinente Person!«
Herr Schnürchen lächelte sanft und tat, als hätte er, in den Anblick der vorüberfliegenden Landschaft vertieft, nichts gehört. Frau Pütterich öffnete das Fenster spaltbreit und schnupperte wie ein Karnickel nach draußen: »Von Meer keine Spur«, stellte sie fest, »die Gegend riecht eher nach Landwirtschaft.« Sie schloß das Fenster und begann, eine Orange zu schälen.
Kurz hinter Forli erschien Signor Cerini, der Feriale-Vertreter für Rimini, der in Bologna zugestiegen war, im Abteil, um die Fahrgäste auf die Hotels zu verteilen. Gleichzeitig mit den Quartierscheinen überreichte er jedem Reisenden einen Orientierungsplan von Rimini, in dem er die Hotels rot ankreuzte. Der Feriale-Kundendienst ließ wirklich nichts, zu wünschen übrig. Otto Lobedanz schielte Fräulein Sonntag über die Schulter und spürte ein kleines Herzklopfen, als er entdeckte, daß ihr Quartierschein auf dieselbe »Villa Annabella« ausgestellt war, in der auch Herr Schnürchen, Frau Pütterich, Herr von Berg und er mit seiner Mutter wohnen würden.
In Rimini standen zwei Omnibusse bereit, um die Reisenden in ihre Hotels und Pensionen zu bringen. Die Pagen schleppten das Gepäck herbei, und zehn Minuten später standen sie zu acht in der kleinen Empfangshalle der Villa Annabella, wo Signor Gualdini seine Gäste in gebrochenem Deutsch, aber mit ungebrochenem Temperament willkommen hieß. Aus einem anderen Abteil waren zwei Reisende zu ihnen gestoßen, Fräulein Lenz, eine dem Lebensmai längst entrückte Verlagssekretärin, und Herr Blumm, ein Justizoberinspektor, der zum Zeichen seiner Witwerschaft am Ringfinger der rechten Hand zwei Trauringe trug, die Frau Pütterich mit einem kleinen Kichern »ausgesprochen animierend« fand. Sie stieß dabei Frau Lobedanz mit dem Ellenbogen in die Rippen, eine Angewohnheit, die Frau Lobedanz später veranlaßte, sich immer auf Distanz zu halten, denn diese Stöße fielen zuweilen so kräftig aus, daß man bei zarter Haut davon blaue Flecke davontragen konnte.
Leider war dem Feriale-Vertreter bei der Verteilung der Unterkünfte eine Panne passiert. Als der Hausdiener und die Zimmermädchen die Koffer auf die Zimmer brachten, stellte es sich heraus, daß Signor Cerini Otto Lobedanz und seine Mutter für ein Ehepaar gehalten und ihnen ein Doppelzimmer angewiesen hatte. Der Irrtum war tun so peinlicher, als die Pension voll besetzt war. Der Padrone, Signor Gualdini, rang verzweifelt die Hände. Seine Gäste waren eine Schweizer Reisegesellschaft, die noch eine Woche blieb, und in der Hauptsache italienische Damen mit zahlreichen Bambinis, deren Männer, Bologneser Geschäftsleute, über das Wochenende zu Besuch kamen. Herr Schnürchen meinte, daß Bologneser Familien die »Villa Annabella« bewohnten, spräche für die gute Küche des Hauses, denn Bologna rühme sich, eine Stadt der Feinschmecker und Genießer zu sein. Als Signor Gualdini Otto Lobedanz das Angebot machte, für eine Woche ein Privatquartier in unmittelbarer Nähe des Hauses zu nehmen, auf Hotelkosten natürlich, mischte sich Herr Schnürchen ein; er bot
Frau Lobedanz sein Einzelzimmer an und schlug Otto Lobedanz vor, das Doppelzimmer mit ihm für die nächsten Tage zu teilen. Natürlich sträubte sich Otto Lobedanz zunächst dagegen, den Tauschvorschlag anzunehmen, der für Herrn Schnürchen so unvorteilhaft war, aber Herr Schnürchen bestand so
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