Das war eine schöne Reise
persönlich ließ sie jede Freiheit, sogar die Freiheit der Berufswahl. Sie verwöhnte und liebte mich. Aber es war eine eifersüchtige Liebe. Keine Ehefrau hätte meinen Umgang argwöhnischer überwachen können, als sie es tat...«
»Wem erzählen Sie das?« seufzte Otto Lobedanz.
»Sie hätte bei einer Liebelei vielleicht beide Augen zugedrückt, aber in dem Augenblick, in dem sie etwas Ernsthaftes dahinter vermutete, setzte sie Himmel und Hölle in Bewegung...«
»Das Gas!« stöhnte Otto Lobedanz.
»Wie bitte?« fragte Herr Schnürchen ein wenig irritiert.
»Wenn meine Mutter zwei Kinokarten in meiner Tasche findet, kriegt sie Zustände und schielt nach dem Gashahn...«
»Es mag roh klingen, aber Sie sollten ihn nicht absperren«, sagte Herr Schnürchen und legte Otto Lobedanz wie einem Schicksalsgefährten die Hand tröstend auf die Schulter. »Meiner Mutter mußte ich die Schlaftabletten wegnehmen, mit denen sie sich in solchen Fällen umzubringen drohte. Sie starb nach der Vollendung ihres zweiundachtzigsten Lebensjahres einen friedlichen Alterstod. Ich kam erst nach ihrem Hinscheiden darauf, daß die Veronalröhrchen in ihrem Nachttischchen mit Pfefferminzpastillen gefüllt waren. Aber da war es für mich zu spät.«
Er öffnete die breite Doppeltür, deren Oberlicht den Raum in ein kühles Halbdunkel tauchte. Die Betten standen an den Längswänden des großen Raumes, dessen Nordfenster durch eine grüne Jalousie geschlossen war. Zwei weiße Schränke und ein runder Tisch mit zwei Rohrstühlen vervollständigten die magere Möblierung. Aber schließlich hatte das Feriale-Unternehmen seinen Reisenden ja auch nicht Unterkunft im Grand-Hotel oder im Atlántico versprochen... Herr Schnürchen ließ sich auf seinem Bett nieder und streifte die Schuhe von den Füßen. Er blinzelte Otto Lobedanz zu und hängte seine Jacke über einen Stuhl: »Ein nettes Mädchen, unser Fräulein Sonntag...«
»Das finde ich auch«, murmelte Otto Lobedanz und rollte seine blaue Badehose in ein gelbes Frottierhandtuch ein.
»Wenn Sie sie demnächst zum Tanzen oder in ein Konzertcafe ausführen wollen, bin ich gern bereit, mich Ihrer Mutter ein wenig anzunehmen...«
»Das würden Sie wirklich tun, Herr Schnürchen?«
»Das ist doch nur eine kleine Revanche für Ihre Hilfsbereitschaft, Herr Lobedanz«, sagte Herr Schnürchen und schob seine
Brieftasche unter das harte Kopfpolster. »Übrigens war auch Herr Körber, unser Reiseleiter, so freundlich, mir seine Hilfe anzubieten...«
»Wenn ich nur den Kerl zu fassen kriegte, der Sie beklaut hat!« sagte Otto Lobedanz und ballte die Fäuste.
»Sie wollen doch nicht etwa Detektiv spielen! Nein, da gibt es im Urlaub viel hübschere Aufgaben. Hatten Sie sich nicht verabredet, Fräulein Sonntag zum Strand zu begleiten?«
»Ja, gewiß...«
»Dann sollten Sie sie auch nicht warten lassen«, meinte Herr Schnürchen und zog einen dunkelblauen Schlafanzug aus seinem Koffer. »Tragen Sie auch Schlafanzüge, Herr Lobedanz?«
»Ja, natürlich...«
»Ehrlich gesagt, ich kann diese Dinger nicht ausstehen. Immer kringeln sich die Hosenbeine hoch und schnüren die Blutzirkulation ab. Daheim geht mir nichts über meine alten, bequemen Nachthemden.«
»Wenn Sie es ganz genau wissen wollen«, grinste Otto Lobedanz, »bei mir halten die Hosen ewig. Ich ziehe sie nämlich niemals an.« Er winkte Herrn Schnürchen einen Gruß zu, wünschte ihm eine angenehme Ruhe und trat auf die Galerie hinaus.
Unten wurde er von der kleinen Gesellschaft, der sich Fräulein Lenz und Herr Blumm angeschlossen hatten, bereits erwartet. Und Vittorio, der zwölfjährige, geschäftstüchtige Sohn von Signor Gualdini, führte die neuen Gäste des Hauses durch eine schattige Platanenallee zum Strande.
»Ich dachte, du wolltest dich auch bis zum Mittagessen niederlegen, Mama«, sagte Otto Lobedanz, der mit seiner Mutter den Schluß des kleinen Zuges bildete.
»Ich bin nicht zum Schlafen nach Italien gefahren!« antwortete Frau Lobedanz und starrte mit einem verkniffenen Zug um die Mundwinkel nach vorn, wo Fräulein Sonntag in erstaunlich geläufigem Italienisch mit Vittorio scherzte. »Schamloser geht es wahrhaftig nicht...!«
Otto Lobedanz hätte Fräulein Sonntag beinahe nicht wiedererkannt. Er fand sie einfach hinreißend hübsch und elegant. Zu aufregend kurzen Shorts aus weißem Leinen trug sie einen schulterfreien schneeweißen Pullover, auf dem Kopf einen breitrandigen weißen Sombrero und an den Füßen
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