Das war eine schöne Reise
liebenswürdig auf seinem Angebot, daß er schließlich darauf einging.
Zu der Villa Annabella gehörten zwei Gebäude, die durch die Wirtschaftsräume lose miteinander verbunden waren. Zwischen den beiden Wohntrakten lag ein von dichtem Weinlaub überwucherter Garten, in dessen Mitte ein dünner Wasserstrahl in eine alte Brunnenschale plätscherte. In diesem schattigen und kühlen Garten, in dem die Trauben den Gästen buchstäblich in den Mund hingen, standen ein Dutzend weißgedeckter Tische, die von den Gästen aus nördlichen Regionen bevorzugt wurden, während die Italiener in dem großen Speisesaal tafelten.
Für die neu eingetroffenen Gäste stand das Frühstück bereit, und da sie den Wahlspruch »Lieber den Magen verrenkt, als dem Wirt was geschenkt« aus Deutschland mitgebracht hatten, fanden sich alle nach kurzer Zeit im Garten ein und nahmen an einem großen runden Tisch mit acht Gedecken Platz. Frau Lobedanz erlebte die erste herbe Enttäuschung, denn die zierlich geformten Weckbrötchen aus schneeweißem Weizenmehl schmeckten so fad wie Stroh, aber das schlimmste war das Gebräu, das sich café latte nannte. Herr Schnürchen erklärte zwar, daß latte Milch bedeute und daß es sich bei dem Getränk eben um einen Milchkaffee handle...
»Nein, Herr Schnürchen, das erzählen Sie, wem Sie wollen, aber nicht mir! Was Kaffee ist, das weiß ich, aber durch diesen Muckefuck ist eine Bohne nicht einmal durchgeschossen worden!« Sie warf ihrem Sohn einen schmerzlichen Blick zu und seufzte: »Und das nach dieser Nacht! Otto, ich fürchte, mit diesem Italien haben wir uns etwas angetan...«
»Ich habe dich gewarnt«, sagte er und schluckte den lauwarmen Milchkaffee tapfer hinunter.
»Sie werden sich an die italienische Küche gewöhnen, Frau Lobedanz«, tröstete Herr Schnürchen, »sie hat vor allem den Vorzug, sehr bekömmlich zu sein.«
»Und was sagen Sie zu den Steinfußböden und zu den Betten? Meins ist aus Blech, auf Mahagoni gestrichen. Wenn man mit dem Kopf anbummst, gibt es einen Ton wie eine Domglocke.«
Otto Lobedanz warf einen nervösen Blick in die Runde. Aber alle waren zu sehr mit dem Frühstück beschäftigt, um auf das Gejammer seiner Mutter zu achten. Nur Fräulein Sonntag grinste amüsiert und zwinkerte ihm zu.
»Du sollst auch im Bett keine Glockentöne von dir geben, sondern schlafen«, knurrte er verdrießlich.
»Und das will ich jetzt tun«, sagte Herr Schnürchen erheitert, »denn ich spüre die lange Nacht in meinen alten Knochen. Wollen Sie sich nicht auch bis zum Mittagessen ein wenig langstrecken, Frau Lobedanz?«
»Das werde ich mir noch überlegen«, antwortete Frau Lobedanz, »was hast du vor, Otto?«
»Wir gehen jedenfalls baden«, sagte Fräulein Sonntag, die neben Herrn von Berg am Tisch saß. »Signor Gualdinis Sohn Vittorio wird uns zu den Kabinen der Villa Annabella führen.«
»Selbstverständlich gehe ich mit Ihnen«, rief Otto Lobedanz, »ich hole nur meine Badehose. Ich bin in einer Minute wieder hier.«
»Das hat keine Eile«, sagte Fräulein Sonntag, »ich muß mich auch erst einmal umziehen. Sagen wir: Treffpunkt hier nach zehn Minuten, ja?«
Herr Schnürchen erhob sich, und Otto Lobedanz begleitete ihn. Das Doppelzimmer lag im zweiten Stockwerk des dreigeschossigen Rückgebäudes. Eine steile Wendeltreppe führte zu den schattigen Galerien, über die man zu den einzelnen Zimmern gelangte. Man hörte die Stimme von Frau Pütterich, die sicherlich wieder einmal eine Lebensweisheit des seligen Pütterich zum besten gab.
»Es ist ein Kreuz mit meiner Mutter«, seufzte Otto Lobedanz.
»Wie alt sind Sie eigentlich?« fragte Herr Schnürchen.
»Im Februar wurde ich achtundzwanzig...«
»In diesem Alter sollte man sich eigentlich von der Nabelschnur gelöst haben«, meinte Herr Schnürchen sehr ernsthaft. »Geben Sie acht, daß es Ihnen nicht so geht wie mir...«
Otto Lobedanz sah ihn fragend an.
»Ich war gerade zwölf Jahre alt, als ich meinen Vater verlor. Er fiel im Ersten Weltkrieg vor Verdun. Wir hatten ein Textilgeschäft. Meine Mutter, damals eine schöne und sehr verwöhnte junge Frau, stand plötzlich vor der Aufgabe, den Betrieb allein weiterführen zu müssen. Und sie wurde entgegen allen Befürchtungen eine großartige Geschäftsfrau. — Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Lobedanz, ich habe nicht die Absicht, meine Mutter anzuklagen, wenn ich Ihnen erzähle, daß sie mit der wachsenden
Verantwortung hart und herrschsüchtig wurde. Mir
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