Das war eine schöne Reise
grölenden Publikum nach Strich und Faden, und in der ersten Reihe saß Fräulein Sonntag und schluchzte vor Enttäuschung herzzerreißend...
Er fuhr, durch ein Geräusch oder eine Stimme geweckt, empor und blickte, in der Meinung, von Herrn Schnürchen geweckt worden zu sein, zu dessen Bett hinüber, aber das Lager war leer, und Herr Schnürchen hatte das Zimmer verlassen. Hatte er sich getäuscht? Nein, jemand pochte von draußen zum zweiten oder dritten Male gegen die Tür.
»Komm nur herein, Mama, ich bin allein im Zimmer...«
»Stehen Sie auf, Sie Faulpelz«, erklang es von draußen, »oder wollen Sie bis morgen durchschlafen?«
»Fräulein Sonntag?« fragte er, als traue er seinen Ohren nicht.
»Ich warte unten auf Sie«, rief sie ihm zu, »aber nicht länger als fünf Minuten. Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?«
»Ich kann das Zifferblatt nicht erkennen...«
»Es geht auf halb sechs zu. Sie haben fünf Urlaubsstunden verschlafen. Es ist eine Schande...«
»Ich komme ja schon!« rief er und lief zum Fenster, um die Läden aufzustoßen. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, und ihr
Licht schoß wie das Feuer einer Explosion in das halbdunkle Zimmer hinein. Ein Glück, daß er sich am Morgen rasiert hatte. Mit der Zeit von vier Minuten für Waschen und Ankleiden konnte er einen persönlichen Rekord buchen. Von der Höhe der Galerie herab versuchte er Fräulein Sonntag unter dem Weinlaub der Pergola zu entdecken und befürchtete schon, daß die Zeit ihr zu lang geworden wäre, als er sie nicht erblicken konnte. Er stürzte die steinerne Wendeltreppe hinunter und hätte sie bald über den Haufen gerannt, denn sie hatte sich auf der letzten Stufe niedergelassen, um ihn zu erwarten.
»Ich hatte Sie etwas weniger stürmisch in Erinnerung«, sagte sie, als er schwer atmend vor ihr bremste, »Sie haben ja fast das Tempo des Herrn von Berg...«
»Ich verstehe Sie nicht...«, stotterte er.
»Ach, dieser kleine Muskelprotz wollte mich heute mittag nicht nur bis zu meinem Zimmer, sondern gleich ins Zimmer hinein begleiten. Na, dem Herrn habe ich vielleicht den Marsch geblasen! Es fehlte nicht viel, daß ich ihm eine geklebt hätte... «
»Hätten Sie es doch getan!« Er flammte vor Empörung auf und ballte die Fäuste, »das ist ja die Höhe der Unverschämtheit! Und so was schreibt sich von und gibt an wie Karl der Dicke. Na, ich muß schon sagen...«
»Ach, lassen Sie nur, Herr Lobedanz, dem Herrn habe ich es schon besorgt. Ich wundere mich höchstens darüber, daß er es eingesteckt hat, ohne pampig zu werden...«
»Wie meinen Sie das?«
»Ach, ich habe so meine Urlaubserfahrungen. Da haben es die Kavaliere immer furchtbar eilig. Und wenn da nicht gleich der erste Landungsversuch klappt, dann kriegt man womöglich noch zu hören, daß man eine blöde Gans ist und sich zum Teufel scheren soll.«
»Nein!« rief Otto Lobedanz entrüstet.
»Doch, doch«, sagte Fräulein Sonntag gleichmütig, »Sie ahnen nicht, was man erlebt, wenn man als Mädchen allein unterwegs ist.«
»Na, dann wundere ich mich aber darüber, daß Sie es immer wieder riskieren«, knurrte er.
»Ganz allein bin ich dieses Jahr zum erstenmal unterwegs«, sagte sie, »sonst waren wir immer zu dritt. Aber meine Freundinnen haben sich zu Weihnachten verlobt. Die eine mit einem Drogisten und die andere mit einem Augenoptiker, und wenn der dritte nicht gerade Lehrer gewesen wäre, wer weiß...«
»Welcher dritte?« fragte er und schluckte trocken.
»Aber das erzähle ich doch schon die ganze Zeit. Wir waren drei Freundinnen, und die drei Männer waren auch alte Freunde.«
»Der Drogist ...«
»Der Optiker und der Lehrer. Und wie es der Zufall wollte, fuhren wir im vergangenen Jahr im selben Abteil nach Cattolica und kamen ins selbe Hotel...«
»Der Drogist...«
»Und der Optiker und der Lehrer. Und es wurde wirklich ein richtig netter Urlaub. Wir sechs waren eine unzertrennliche Bande. Am Strand und abends beim Tanzen und auf den Spritztouren nach San Marino und Rimini und Cesenatico...«
»Und in Cattolica haben sich Ihre beiden Freundinnen mit dem Optiker und dem Drogisten verlobt?«
»Doch nicht gleich in Cattolica! Natürlich erst zu Weihnachten!«
»Das verstehe ich nicht, ich meine, ich verstehe nicht, weshalb Sie es so natürlich finden, daß die Verlobung erst zu Weihnachten stattfand...«
»Na, hören Sie«, sagte Fräulein Sonntag, »im Urlaub zeigt doch jeder nur seine Fotografierseite, und man will doch
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