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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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weg. Ich war noch da.
    HENRY
    Was war das? Ich hatte im Halbschlaf meine Wange berührt und sie dann, sofort hellwach, mit hektischen Fingern abgetastet verkrustetes Zeugs bedeckte meine Haut. Hatte ich mich verletzt? War eine Ader geplatzt? Ich suchte nach dem Lichtschalter neben dem Bett, erwischte den, der sämtliche Zimmerbeleuchtung zugleich anschaltete, und es wurde so hell, als wollte mich jemand aus meiner Juniorsuite beamen. Ich taumelte ins Badezimmer, erwartete eine verheerende Wunde, getrocknetes Blut, und so ähnlich sah es auch aus, nur mit Stückchen von Papier und Alufolie mitten in meinem Gesicht: Ich war auf dem Betthupferl eingeschlafen, einem Schokoladentäfelchen, das das Zimmermädchen auf mein Kopfkissen gelegt hatte.
    Ich ließ mir ein Bad ein. Angewidert stellte ich fest, dass auf dem Waschtisch eine Duschhaube lag, dann legte ich mich ins Wasser und wartete darauf, dass es meinen mit viel Aufwand in Form gehaltenen Körper komplett bedeckte. Alles um mich herum war weiß, die Handtücher, die Wände, die Fliesen. Plötzlich wurde mir klar, warum ich Hotels nicht mochte. Sie erinnerten mich an Pflegeheime. Ich wusch mein Gesicht und blieb solange mit dem Kopf unter Wasser, wie ich konnte. Hörte meinem Herzschlag zu, der so schnell war, als wäre ich gerade mit einem Gummiseil an den Füßen von einer Brücke gesprungen.
    War da ein Geräusch an der Tür? Natürlich nicht, ich hatte den Kopf unter Wasser gehabt. Doch da war es noch mal. Die Verlagsidioten hatten mich gefunden. Ich schoss aus dem Wasser, warf mir, ohne mich abzutrocknen, den Bademantel über, schlich tropfend zur Tür und riss sie auf. Leise Ambientmusik auf dem Gang, sonst nichts. Niemand. Nur das Bitte-nicht-stören-Schild war heruntergefallen. Ich hängte es wieder an die Klinke und schloss die Tür.
    Dann wollte ich in die Badelatschen schlüpfen, doch auch das erwies sich als schwierig, da man sich eine Frotteekordel zwischen die ersten beiden Zehen zwängen musste, um die Latschen am Fuß zu halten. Was denken die eigentlich, wer hier wohnt? Paarhufer, die Duschhauben benutzen, anstatt sich die Haare zu waschen und sich unmittelbar vor dem Schlafengehen mit Süßigkeiten vollstopfen?
    Ich zwängte mich trotzdem in die Schlappen. Dann klingelte mein iPhone. Während ich es aus der Manteltasche zog, ahnte ich bereits, wer es war: Der Verlag musste schon verrückt sein vor Sorge um mich, doch so leicht würde ich es ihnen nicht machen. Ich hatte bereits den Finger auf dem Ausschaltknopf, da sah ich, welcher Name auf der Anzeige blinkte, nahm ab und sagte:
    »Hallo, Enrique.«
    »Henry, wie geht's denn so?«, sagte eine Stimme, die mir schon immer etwas zu tief und seriös für solche Freundlichkeiten erschienen war.
    »Gut«, sagte ich, ohne zu überlegen. »Fantastisch.«
    »Und dein Termin heute? Du hast mich doch nicht etwa vergessen?«
    »Oh, der ... das ist ja jetzt.«
    Normalerweise lag ich um diese Zeit bei Enrique auf der Massageliege und absolvierte ein auf mich zugeschnittenes Anti-Aging-Programm, das physiotherapeutische und kosmetische Elemente kombinierte: Rückenmassage und eine Gesichtsmaske mit antioxidierendem Granatapfel-Extrakt. Seit einem Jahr machte ich das jeden Tag, nun hatte ich es zum ersten Mal vergessen. Sofort vermisste ich es, wie Enrique leise mit mir sprach, mir von seiner Chinchillahündin erzählte oder von seinen Reisen in die Wüste von New Mexico. Wenn er etwas über meinen Rücken sagte und dabei einen medizinischen Fachausdruck benutzen musste, seufzte er jedes Mal, als erinnere ihn das an eine Anatomieprüfung: »Du hast da eine Verspannung im, hmm ... Trapezius.«
    »Tut mir leid, ich kann nicht, ich arbeite. Schreibe.« »Oh. Okay. Dann verlegen wir das einfach.«
    »Ja«, sagte ich, schaltete das Telefon aus und ging in den Wohnbereich, wo ich mir einen Kaffee machte und ewig nach den Löffeln suchte, bevor ich ihn wie ein desorientierter Zausel mit dem kleinen Finger umrührte.
    Hinter dem Fenster lag meine verschneite Heimatstadt. Bald würde Gracy Welsh alles in Bewegung setzen, um mich zu finden: Sie würde vor meinem Haus auftauchen, von dem Portier erfahren, dass ich seit gestern nicht nach Hause gekommen war, meine Nachbarn mit Fragen löchern und mit ihrem Handy ein Heer von nach mir suchenden Praktikanten und Assistentinnen durch die Stadt scheuchen. Bei wem ich mich versteckt haben könnte, würde sie überlegen, doch ihr würde niemand einfallen.
    Es gab keinen

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