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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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Schulfreund aus der Zeit, bevor ich ein weltberühmter Autor geworden war, meine Eltern waren tot, Geschwister hatte ich nicht, und dass ich auch nur überlegt haben könnte, mich bei Andrew zu verstecken, hielt sie sicherlich für genauso ausgeschlossen wie ich. Sie hatte ihn ja oft genug erlebt, in unseren gemeinsamen Jahren, 1988 bis 1993.
    Dass Andrew mich betrog, hatte mich weniger gestört als die Tatsache, wie berechenbar es für mich war, wann und mit wem es geschah. Es war so weit gekommen, dass ich, wenn wir auf eine Party kamen, nach einem Blick durch den Raum wusste, an wen er sich im Laufe des Abends ranmachen würde. Es waren immer Typen mit breiten Schultern und einer Affinität zu französischer Literatur. Wenn Andrew dann betrunken war, hatte fast jeder breitschultrige Mensch eine Chance, auch wenn er noch nie eine Zeile von Proust gelesen hatte.
    Irgendwann bekam André meinen Uni-Job in einer Stadt, in die es von Chicago aus keine direkten Flüge gab. Wir telefonierten weniger. Riefen uns nur an, wenn wir wussten, dass wir nur den Anrufbeantworter des anderen erreichten.
    Ich nahm meine Brieftasche und griff in das Fach hinter dem mit dem ganzen Geld. Ich nahm den roten Briefumschlag heraus, den ich, ein Mal in der Mitte gefaltet, immer bei mir trug. Schon oft hatte ich beschlossen, ihn wegzuschmeißen - wie albern war das auch, mit einem roten Couvert durch die Gegend zu laufen, auf das ich in Großbuchstaben NOTFALL geschrieben hatte.
    Aber ich hatte ihn behalten und überlegte nun zum ersten Mal, ihn zu öffnen. Aber war das schon der Notfall? Was, wenn es noch schlimmer kam?
    Ich ließ mir vom Zimmerkellner einen Obstsalat bringen, nahm die Chicago Tribune, die der Kellner auf das Tablett gelegt hatte und folgte meiner Zeitungsroutine: erst die Bilder im Sportteil ansehen, dann den Wirtschaftsteil wegschmeißen, dann - dann war da dieses Foto, das ich bewegungslos, fassungslos anstarrte. Es zeigte einen erschöpften jungen Mann in weißem Hemd, der mit müden Augen in die Ferne blickte, bis in meine Juniorsuite, auf das Sofa, auf dem ich saß; er schien mich so direkt anzusehen, dass ich mir durch die Haare fuhr und den Kragen meines Bademantels richtete. Hinter ihm zeichnete sich unscharf etwas ab: die nach unten weisende Kurve eines Aktienkurses.
    MElKE
    Der Supermarkt war ein riesiger Klotz mit Fahnen davor, auf einer grünen Wiese, an der zwei Landstraßen in einem Kreisverkehr aufeinandertrafen. Wenige Dinge haben auf mich eine ähnlich beruhigende Wirkung wie ein Kreisverkehr im ländlichen Raum, mit der obligatorischen Skulptur aus dem Kunst -im- öffentlichen-Raum-Etat in der Mitte: zwei in Bronze gegossene Bauern, die Kohl ernteten oder, wie ich nach der fünften oder sechsten Umrundung dachte, wohl doch eher Rüben.
    Ich kaufte Fisch, um für etwas Lokalkolorit zu sorgen, obwohl der Fisch tiefgekühlt war und aus dem Atlantik kam. Dazu kaufte ich Kohl, weil der fast nichts kostete und mein Geld durch Umzug und Hauskauf aufgebraucht war. Ich war pleite, blank, abgebrannt. Manchmal denke ich viel in Synonymen eine Berufskrankheit der Übersetzerin, die auf der Suche nach dem passenden Wort alle Möglichkeiten durchspielt. So brachte ich mich in Stimmung für Henry LaMarcks neuen Roman.
    Auf der Fahrt zurück nach Tetenstedt erinnerten mich meine schmerzenden Schultern jedes Mal, wenn ich schaltete, an das Holz, das ich gehackt hatte. Ich kann hier leben. Entlang der Landstraße boten Bauern auf handgeschriebenen Schildern Kartoffeln, Kohl und andere Produkte aus der Region an. Auf einem Schild stand: Deichlamm/Honig/Wurst aus eigener Schlachtung.
    Ich fuhr durch das Dorf, passierte das Ortsausgangsschild, das unter dem durchgestrichenen Tetenstedt eigentlich den Namen der nächstfolgenden Ortschaft zeigen müsste, doch hier war nur ein gelbes Nichts. Eine halbe Zigarette später kam mein Haus. Ich stieg aus und horchte dem Laut hinterher, den die zuschlagende Autotür machte.
    Die rote Briefkastenfahne war oben. Stand unbewegt im Wind wie ein Signal, das mir sagte, dass mein neues Leben beginnen konnte, und ich öffnete die weiße Klappe vorsichtig wie die Tür eines Backofens, nachdem die Schaltuhr geklingelt hatte und die Tiefkühllasagne nach fünfzig Minuten endlich fertig war.
    Es war ein Prospekt, auf dem nicht einmal meine Adresse stand, nur ein Aufkleber mit dem Satz: Ihr persönliches Angebot. Entdecken Sie eine neue Welt von Wellness - ganz bequem und von zu Hause! Darunter

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