Das War Ich Nicht
Händlersaals herumliefen, hatten sich in Bewegung gesetzt, orange leuchtende Ziffern, eine ewige Zahlenautobahn. In der ersten Zeile Kurse von Indizes, Währungen und Rohstoffen. In der zweiten Zeile Aktien, sehr viel schneller, und auf dem dritten Band, ganz langsam: die Uhrzeiten von Tokio, Los Angeles, Chicago, New York, London, Frankfurt. Das war die einzige Zeile, die mich interessierte, weil ich so nie nachdenken musste, zu welcher Zeit ich wo jemanden erreichen konnte. Die für mich wichtigen Kurse hatte ich ohnehin vor mir.
Als ich gerade mit einem Kollegen in New York telefonierte, hörte ich Chris fluchen. Lauter als normal. »Hey, Girl. Was ist mit Equinox los?« »Nichts.«
»Wie, nix? Ich komme nicht ins System.« »Ich bin drin «, sagte ich.
»Schön für dich.« Das war Neelys Art, mich zu bitten, ihm zu helfen. Alle wussten, dass ich mit Computern umgehen konnte. Natürlich sollte ich ihm helfen. Er war unser Star. Betreute nicht nur die größten Kunden, sondern war auch der Einzige an unserem Desk, der für Prop-Trading autorisiert war. Also mit dem Kapital der Bank spekulieren durfte. Doch da ich eh so gut wie gefeuert war, genoss ich es, ihm die Standard-Ratlos-Antwort des gleichgültigen Kollegen zu geben:
»Mach erstmal einen Neustart.«
Neely lag mehr in seinem Stuhl, als dass er saß, sein Becken so weit unter den Tisch gerutscht, dass seine Schultern fast auf der Höhe der Schreibtischplatte waren. Ich sah ihn eine Weile an, doch er ignorierte mich. Dann sah ich den Sicherheitsmann. Obwohl er noch weit weg war, ahnte ich, dass er zu mir kam. Das schwarze Hemd fiel mir als Erstes auf, dann das Sprechteil des Funkgerätes an seinem Schultergurt, die Schusswaffe am Gürtel.
Natürlich. So feuerten sie mich. So unsubtil, wie es nur geht.
Alex war dem Sicherheitsmann entgegengegangen. Nickte ihm zu. Wies mit einer knappen Geste seiner großen Hand in meine Richtung. Sie kamen. Plötzlich wusste ich, was ich tun werde. Ich werde mich wehren. Ihnen endlich sagen, was ich von ihnen hielt. Von Chris mit seinen Scheißsprüchen, Alex mit seinem Möchtegern-Pokerface. Die sollten sich bloß nichts darauf einbilden, dass sie so gut funktionierten hier. Sie standen doch alle unter dem gleichen Druck wie ich. Irgendwann werden auch sie weg sein. Aussortiert. Genau das werde ich ihnen sagen. Direkt ins Gesicht.
Als sie unsere Reihe erreicht hatten, verlangsamte der Sicherheitsmann das Tempo, wusste nicht, wo er hin sollte. Er ließ Alex vorgehen. Sie kamen. Auf mich zu. Ich rutschte auf meinem Stuhl nach vom, ganz nah an die Monitore ran. Alex und den Sicherheitsmann hinter mir. Dann Alex' Stimme, in einem Ton, dass alle sich umdrehten:
»Wir müssen ein paar Veränderungen in der Abteilung vornehmen und haben uns leider entschlossen, dass wir die Zusammenarbeit nicht mehr fortsetzen wollen. Hier ist ein Brief, in dem alles Weitere steht. Du hast eine halbe Stunde, um deine Sachen zu packen. Dann wird dieser Herr dich aus dem Gebäude begleiten. «
Ich schwieg. Vergaß zu atmen. Und sagte dann sehr leise: »Okay.«
Starrte auf den Equinox-Bildschinn.
»Das meint ihr nicht ernst, Jungs«, sagte da jemand links von mir. Chris.
Ich drehte mich um, doch weder Alex noch der Sicherheitsmann sahen mich an. Dann sah ich, wie Chris Neely sich in eine halbwegs sitzende Position hocharbeitete.
»Aus gegebenem Anlass«, sagte Alex. »Das müssen wir hier ja nicht vor allen ausbreiten.«
Chris zischte etwas, das ich nicht verstand, und begann wortlos seine Sachen zu packen. Er brauchte nur zwei Minuten. Verabschiedete sich von einigen Kollegen und ging. Ich sah ihm hinterher. Er versuchte, den lockeren Gang eines Basketballspielers zu imitieren, der für einige Minuten vom Platz gestellt worden war.
Wenig später klingelte mein Telefon. Auf der Anzeige sah ich, dass es niemand aus New York oder London war, sondern jemand von hier.
»Jasper, Futures und Optionen«, sagte ich.
»Brauchst gar nicht so zu grinsen, St.-Pauli-Girl. Du bist nicht hier, weil du gut bist, sondern weil du ihnen ewig dankbar sein wirst, dass sie dich damals aus dem Back-Office rausgeholt haben. Du wirst nie einer von uns, da kannst du noch so viele Nachtschichten machen.«
Ich drehte mich um und sah Chris an einem Telefon stehen, an einem leeren Platz sechs Reihen hinter mir.
»Chris, Mann, das tut mir echt leid. Wirklich. Weißt du, wer der Mann gestern an meinem Platz war?«, fragte ich. Er legte auf.
Dann war Chris Neely
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