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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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gegenüber, egal, wie übel das Leben ihnen mitspielte. Jetzt jedoch trieb ein scharfer Wind Schnee, Müll und Menschen durch die Straßen, hässliche graue Eichhörnchen kämpften sich von Baum zu Baum.
    Ich hatte alle Romane von Henry LaMarck mitgenommen, in meiner Übersetzung, an denen ich nun schwer trug, während mir auf der Michigan Avenue der Schnee ins Gesicht stürmte. Ich hielt an einem Andenkenladen, kaufte mir eine Mütze und einen langen Schal, bedruckt mit dem Logo der Chicago White Sox , das war eine Baseballmannschaft hier, das Günstigste, was es gab. Ein paar Blocks weiter fiel mir ein, dass es unter mir eine zweite Michigan Avenue gab, eine Straße unter der eigentlichen Straße, an der die Lieferanteneingänge lagen. Hier waren in Un term Ahorn Graham Santos' Mutter und Vater einander entgegen- und dann aneinander vorbeigegangen, sie oben und er unten. Auch ich nahm nun die Treppe nach unten, schlitterte Verladerampen hinauf und hinunter, Autos neben mir, vor mir, hinter mir, über mir, aber wenigstens kein Schnee.
    Ich wollte am offensichtlichsten aller Orte anfangen, dem Walnut Room. Henry LaMarck würde ich da nicht finden wenn er ernsthaft verschwinden wollte, konnte er dort nicht sein, doch für mich war der Walnut Room der ideale Ausgangspunkt, um mich in seine Welt einzufühlen.
    Wenig später stand ich im siebten Stock von Macy's on State Street. Wie Chicago hatte ich mir auch den Walnut Room unter dem Eindruck von Henry LaMarcks Romanen gemütlicher vorgestellt. Die von der Kassettendecke hängenden Kronleuchter, die dicken Teppiche zwischen den walnussholzgetäfelten Wänden waren zwar genau so, wie in seinen Büchern beschrieben, und doch konnte ich nicht vergessen, dass ich, um hierhin zu kommen, ein profanes, stinknormales Kaufhaus durchqueren musste, in dem Reisegruppen die Rolltreppen blockierten und ich von Parfümverkäuferinnen angesprüht wurde. Ich nahm an einem fast gänzlich von einer Zimmerpalme abgeschirmten Ecktisch Platz, denn ich wollte so weit weg wie möglich von den anderen Gästen sitzen, die hauptsächlich ältere Damen waren keine Spur von den gut aussehenden Männern, die sich in Henry LaMarcks Romanen hier bei einem Stück Frango-Minztorte von ihren Beziehungskrisen, heimtückischen Krankheiten und gescheiterten Karrieren erholten.
    Die in seinen Büchern so hochgelobte Minztorte schmeckte wie ein normaler Schokokuchen, den man mit After-Eight-Täfel chen verschalt hatte, doch ich aß sie trotzdem, trank dazu in kleinen Schlucken den heißen Kaffee, ließ mir mehrfach nachschenken, blätterte durch seine Romane und fertigte eine Liste mit den Orten an, die eine wichtige Rolle spielten:
    Der Plattenladen Reckless Records, der Graceland-Friedhof, Lawrences Fisheries, die erste Adresse für frittierte Shrimps, in der Nähe einer verlassenen, stillgelegten, halb verfallenen Fabrik irgendwo am südlichen Arm des Chicago Rivers ...
    Immer wieder las ich mich in den Büchern fest, und je mehr ich las, desto altehrwürdiger erschien mir auch der Walnut Room. Jedes Mal, wenn ich mich umsah, bewunderte ich, wie es Henry LaMarck gelungen war, dieser aufgepimpten Kaufhauskantine kraft seiner Sprache einen mondänen Glanz zu verleihen, stellte mir vor, wie er jeden Tag hierherkam, um sich von der Arbeit zu erholen und ... da war er!
    Dieser Mann dort, der den Raum Richtung Ausgang durchquerte, sich durch eine asymmetrisch geschnittene Kurzhaarfrisur fuhr und den Kragen eines dunkelblauen Mantels richtete. Er betrachtete ein kleines Stück Papier in seiner Hand, und als er es vorsichtig faltete und in seiner Brieftasche verschwinden ließ, lächelte er.
    Ich raffte meine Bücher zusammen, sprang auf und ließ ein paar Dollarnoten auf dem Tisch liegen ohne genau hinzusehen, welche. Kein Zweifel, das war Henry LaMarck. Ich folgte ihm zu den Fahrstühlen, wickelte mich dabei wieder in meinen Schal und setzte die Mütze auf. Der Fahrstuhl kam, die Türen glitten auf, er tat zwei Schritte nach vorn und drückte auf den Knopf mit der Eins. Ich hasse Fahrstühle, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich folgte ihm, kurz bevor die Türen sich schlossen.
    Ein Klingeln, dem Geräusch meines Wasserkochers nicht unähnlich, zählte die Stockwerke.
    »Mr. LaMarck, ich bin es, Meike Urbanski. Sie kennen mich nicht, außer vielleicht meinen Namen, ich übersetze Sie.« Das hätte ich sagen können. Sagte aber nichts. Wandte mich ab und starrte auf ein Werbeplakat an der Wand, ohne

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