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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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wahrzunehmen, was darauf stand. Es war weder Freude noch Angst, die mich lähmte. Für solche Gefühle war ich viel zu verblüfft.
    Er verließ den Fahrstuhl im Erdgeschoss und ging zielstrebig Richtung Handtaschenabteilung. Ich folgte ihm mit einigen Schritten Abstand, zu wenigen Schritten Abstand, wie ich plötzlich fand und blieb vor einer Handtasche stehen, ohne ihn aus dem Blick zu lassen. Da drehte er sich um. Ich starrte auf das lederne Etwas in meinen Händen.
    »Kann ich Ihnen helfen«, fragte eine Verkäuferin.
    »Wie viel kostet die?«, fragte ich, während Henry an mir vorbei lief
    »Das ist Eidechsenleder«, sagte die Verkäuferin. Ich zählte bis drei, dann folgte ich ihm, stellte mich auf die Rolltreppe, die ihn nach unten trug, versuchte, ihm nicht zu nahe zu kommen, ihn aber zwischen den Sonderangeboten, Mikrowellen und Entsaftern auch nicht zu verlieren. Jedes Mal, wenn er sich umdrehte, fiel mir auf, dass er genauso aussah wie auf den Autorenfotos. Es gab nicht die übliche Diskrepanz zwischen den attraktiven Menschen auf den Buchumschlägen und dem, wie die Autoren wirklich aussahen; meistens waren sie dicker und hatten schmalere Schultern, und fast immer waren sie kleiner. Henry LaMarck hingegen war groß. Die wenigen Falten in seinem Gesicht, die wenigen grauen Haare auf seinem sonst schwarzhaarigen Kopf, wirkten wie bewusst gesetzte Akzente. Nur seine Kleidung verwunderte mich. Von den Fotos kannte ich ihn in eng geschnittenen Hemden und Anzügen in sehr speziellen Farben. Heute war er so langweilig gekleidet, als arbeitete er bei einer Bank.
    Wo war er jetzt? Da. Er verschwand in einem Gang, der offensichtlich vom Untergeschoss des Kaufhauses direkt zur U-Bahn führte. Schon war er so weit weg, dass ich daran zweifelte, ob das wirklich Henry LaMarck war, dieser Mann da vorne, der bereits den Bahnsteig erreicht hatte und diesen, behende die wartenden Menschen umschiffend, in Richtung eines Straßenausgangs überquerte. Ich rempelte Leute aus dem Weg, Richtung Ausgang. Treppe. Rauf. Er war es wirklich. Er sah sich um und ging die Straße entlang. Ich blieb vor einem Schaufenster stehen, ließ den Abstand zwischen uns wachsen, doch plötzlich war es zu viel. Voller Angst, ihn verloren zu haben, überholte ich zwei Frauen mit Laptoptaschen, und stellte dann fest, dass er stehen geblieben war. Einfach nur dastand. Vor einem Cafe.
    Mir fiel nichts Besseres ein, als mich an eine Bushaltestelle schräg vor dem Cafe zu stellen und zu hoffen, dass er mich nicht bemerkte. Immer tiefer verkroch ich mich in meinem Schal, zog mir die Mütze ins Gesicht, obwohl der Schneefall langsam nachließ. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, schaltete mein Handy an, stellte fest, dass es in den USA nicht funktionierte, und schaltete es wieder aus.
    Fast eine Stunde stand er dort, an die Wand gelehnt, nur manchmal ging er ein paar Schritte auf und ab und sah sich dabei um. Eigentlich genug Zeit, dass ich mir hätte überlegen können, was ich tun sollte, doch ich dachte überhaupt nichts. Wartete. Das Cafe hieß Caribou.
    Dann lief er plötzlich Richtung Fluss. Ich blieb ihm auf den Fersen, bekam jedes Mal einen Schreck, wenn er sich umdrehte, aber er drehte den Kopf nie weit genug, um mich sehen zu können. Er schien nicht das Geschehen hinter sich, sondern die andere Straßenseite zu beobachten. Dann blieb er stehen, machte kehrt und kam direkt auf mich zu.
    Natürlich hatte er mich nicht erkannt, wie auch, schließlich war ja nicht mein Bild auf den deutschen Büchern, sondern seins. Trotz der Kälte trug er seinen langweiligen Geschäftsmännermantel offen, sodass ich darunter einen Nadelstreifenanzug, ein gestreiftes Hemd und eine Krawatte erkannte. Henry hasste Krawatten!
    Dann stellte er sich wieder vor das Cafe, lehnte sich an die Wand und sah auf die andere Straßenseite, ganz so, als wartete er auf jemanden. Ich musste ihn ansprechen, doch nachdem ich mich anfänglich nicht getraut hatte, bekam ich nun das Gefühl, dass es ihn erschrecken könnte. Was er in der letzten Stunde getan hatte, wirkte schon etwas, wie soll ich sagen, verrückt? Ich blieb stehen, um zu begreifen, was ich da gedacht hatte: Vielleicht war es gar nicht ich, die Hilfe von Henry brauchte, sondern umgekehrt. Die Arbeit an seinem Jahrhundertroman musste ihn so mitgenommen haben, dass er nun desorientiert durch die Straßen lief. Doch ich würde ihm helfen, ich musste nur auf den richtigen Moment warten, um ihn anzusprechen, ohne ihn zu

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