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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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blamieren.
    Ich stellte mich wieder an die Bushaltestelle. Bald fühlten meine Zehen sich an, als gehörten sie nicht mehr zu mir. Henry hingegen hatte noch nicht einmal den Mantel zugeknöpft. Ich hatte aufgehört zu zählen, wie oft er auf und ab gegangen war, da stand er plötzlich kerzengerade, drehte den Kopf zur Seite wie ein Hirsch, der ein verdächtiges Geräusch gehört hatte, lief mit kurzen, schnellen Schritten auf den Eingang des Cafés zu und war weg.
    Nur Sekunden später riss ich die Cafetür auf. Jede Menge Menschen, doch von Henry LaMarck keine Spur. Ohne nachzudenken, lief ich eine Wendeltreppe links des Eingangs hinauf, die zu einer kleinen Galerie führte, auf der niemand war. Ich hastete die Treppe wieder hinunter. Zwei Theken gab es hier, an denen in langen Schlangen die Leute warteten, doch auch hier: kein Henry LaMarck. In Krimis musste man sonst was tun, um seine Verfolger abzuschütteln, in Wirklichkeit reichte es offenbar, ein Cafe zu betreten.
    War er auf die Toilette gegangen? Ich starrte auf die beiden Türen mit der Aufschrift wc. Als ich sah, dass es neben der linken Toilettentür einen zweiten Ausgang gab, der zu einer Ladenpassage führte, hätte ich fast geschrien, eilte auf den Ausgang zu, sah ihn nicht, ging wieder zurück und stellte mich in die Nähe der Kaffeeausgabe, die WC-Türen im Blick.
    Eine Frau rief: »Mittelgroßer Vanille-Frappuchino mit Süßstoff und Halbfettsahne, entkoffeiniert.« Gösta, Sabine und die anderen Slow-Food-Anbeter wären gestorben, bei mir kamen die Wärme, der Geruch von Kaffee und das Fauchen der Milchschaummaschine hingegen gut an.
    »Kleiner Americano«, rief die Frau an der Getränkeausgabe.
    Ich brauchte dringend ein Heißgetränk, sah in meinen Taschen nach, wie viel Kleingeld ich dabei hatte, und stellte fest, dass es nur noch Kleingeld war. Dabei hatte ich doch neben ein paar Eindollarnoten einen Hunderter eingesteckt und den Rest in der Pension gelassen. Ich musste ihn im Walnut Room auf den Tisch geschmissen haben. Das fing ja gut an, dachte ich, dann fiel mir auf, dass ich mich ohnehin nicht in die Getränkeschlange hätte stellen können, weil ich von dort die WC-Türen nicht im Blick hatte.
    »Kleiner Americano«, rief die Frau zum zweiten Mal, von der ich nicht wusste, ob man sie auch Barista nannte, obwohl sie nur die Getränke ausgab, aber ich musste das ja nicht übersetzen.
    »Kleiner Americano«, rief die Frau und dehnte das zweite >a< länger. Es kam mir merkwürdig vor, dass es an diesem hysterischen Ort jemanden gab, der nicht sofort auf sein Getränk zusprang. Seit einiger Zeit spielte ich in solchen Schnellcafes immer mit dem Gedanken, das Getränk eines wildfremden Menschen zu klauen, und dachte an meinen Flug, der viel teurer gewesen war als erwartet.
    »Kleiner Americaano!«
    Ich hatte den Becher bereits in der Hand und den ersten Schluck genommen, als ich jemanden rufen hörte:
    »Americano? Here!«, wobei das »here« eher klang wie ein deutsches »hier«. Es war ein Mann, der mir eben schon aufgefallen war, weil er geistesabwesend in den Raum gestarrt und dabei innerhalb von Sekunden ein Sandwich und einen Donut in sich hineingestopft hatte.
    »Hier«, rief er wieder, während er in Richtung Getränkeausgabe hastete. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er hier nicht reinpasste. Schon allein, weil er kein Jackett trug, sondern nur eine schwarze Hose und ein weißes Hemd. Er erklärte der Frau hinter dem Tresen, dass er sie nicht gehört habe, sie antwortete etwas, sah kurz in meine Richtung und begann, ihm einen neuen Americano zu machen. Ich hatte nicht hören können, was sie gesagt hatte, doch nun sah er mich an:
    »Did you just take my Americano?«
    »Du meinst den, den keiner haben wollte?«, antwortete ich auf Deutsch.
    »Aus Deutschland?« »Aus Tetenstedt.«
    »Ich bin aus Bochum.«
    Ich schwieg, und wir standen da, uns gegenüber.
    »Also, bei Bochum«, sagte er. »Dann sind wir ja Landsleute.« Ich nahm einen Schluck Kaffee, ohne die WC-Türen aus dem Auge zu lassen. Das war wohl der Grund, warum niemand das Getränk anderer Leute klaute: Es wurde mit peinlichem Anschweigen bestraft.
    »Tetenstedt ist in Nordfriesland«, sagte ich.
    »Den kannst du gerne haben, ich habe mir schon einen neuen bestellt«, sagte er. Ich sah ihn nur flüchtig an. Kurzhaarfrisur. Viel Gel.
    »Nimmst du immer die Kaffees von anderen Leuten?« »Ja, ich bin Kommunistin«, sagte ich.
    »Echt?«
    »Nein.«
    »Ist ja auch egal. Wir

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