Das War Ich Nicht
den Espresso an die Wand geschmissen, wenn es nicht so lächerlich gewesen wäre - einen Espresso in einem Pappbecher.
Ich wurde immer wortkarger, hörte ihm nicht mehr zu. Starrte auf eine Ad-hoc-Meldung auf dem Analysten-Monitor: Überraschend gute Zahlen einer amerikanischen Hypothekenbank hatten bei sämtlichen Hypothekenbanken für Kursfantasie gesorgt. Als hätten alle nur eine Begründung gebraucht, um weiter zu kaufen.
Mein Verlust hatte sich ... Ich packte meine Armlehnen. Sah auf den Chart von HomeStar, das Plus in blinkendem Grün. Einen Moment dachte ich, ich müsste kotzen, wollte schon aufs Klo rennen. Oder einfach weg. Aus der Drehtür, aus dem Haus und nie wieder einen Fuß auf die LaSalle Street setzen. Mich verstecken. In Kanada im Wald. Oder in Bochum. Dann nahm ich einen Schluck Wasser. Auch diese Verluste waren nicht echt. Waren nur virtuell, die ganzen 14 Millionen. Ich musste noch mal den Einsatz verdoppeln. Was ich auch tat. Wenn es jetzt nicht klappte, dann eben morgen. HomeStar musste nur einen Tag deutlich fallen.
»Du hältst mich für einen langweiligen Banker, oder?«
Sie überlegte kurz, dann sagte sie: »Ja.«
»Dabei ist mein Job total spannend. Die langweiligen Banker sind im Back-Office. Im Händlersaal ist alles total krass. Intensiv. Immer am Limit. Wir sind Rockstars.«
»Ihr könnt euch ja auch kaum retten vor lauter Fans«, sagte Meike, und ich hätte gern gelächelt, doch ich konnte es nicht.
»Warum will eigentlich keiner wahrhaben, wie wichtig Finanzmärkte sind?«, sagte ich. »Wir sorgen dafür, dass das Geld dahin kommt, wo es am produktivsten ist. Jeder kann doch mal Geld brauchen. Für eine Geschäftsidee, als Kredit für seine Firma oder sein Haus.«
»Dann gehe ich zu meiner Bank.«
»Und wo kriegt die das Geld her, das sie dir leiht? Vom Finanzmarkt. Das ist wie in einer Wasserleitung. Wenn niemand für den nötigen Druck sorgt, kommt nichts, wenn man den Hahn aufdreht.«
»Was für ein Sternzeichen bist du?« »Was?«
Erst jetzt fiel mir auf, dass Meike während meiner Finanzmarktrede das Horoskop auf der Rückseite eines Zuckertütchens gelesen hatte.
»Fische«, sagte ich.
»Schade, hier ist Löwe«, sagte sie und riss das Zuckertütchen auf. Sie schien kein Interesse an mir zu haben, so viel war klar. Trotzdem war sie gekommen. Pünktlich sogar. Sie spielte keine Spielchen. Was sie stattdessen tat, war mir ein Rätsel.
»Und du bist hier, um den Schriftsteller zu treffen, den du übersetzt? Henry LaMarck?«
»Ja«, sagte sie, wenn auch nach einigem Zögern. »Wir arbeiten sehr eng zusammen. Er ist sehr nett.«
»Hast du einen Lieblingsroman von ihm?«, fragte ich.
»Unterm ... «
» ... Unterm Ahorn? Ja, der ist toll. Total ... « Ich konnte doch nicht nur sagen, dass ich das Buch toll fand. Mir musste noch ein besseres Wort einfallen.
» ... intensiv«, sagte Meike.
»Genau. Intensiv. Ich frage mich nur immer, warum es Unterm Ahorn heißt. Graham Santos sitzt doch unter Palmen.« »Das ist weil ... «, sie zögerte. War meine Frage so dumm? »Im ganzen Buch kommt kein Ahorn vor«, sagte ich. Dabei hatte ich es doch gar nicht zu Ende gelesen. Hoffte, dass es nicht am Schluss nur noch um Menschen ging, die unter Ahornbäumen saßen. Auf Ahornholzmöbeln.
»Das ist metaphorisch gemeint. Der Ahorn steht für was anderes.«
»Wofür denn?« »Keine Ahnung.«
»Dann hast du das einfach übersetzt, obwohl es keinen Sinn hat?«
»Das ist halt nicht so rational wie in deiner Bank.« »Rational? Es gibt nichts, wo es irrationaler zugeht als bei uns. Heute, zum Beispiel, habe ich verloren. Richtig Geld. Millionen. Mit Long Straddles. Das darf ich eigentlich gar nicht, aber niemand hat es mitbekommen. Ich bin nämlich ziemlich geschickt.« Halt den Mund, sagte ich mir. Jetzt erzählte ich nicht nur von meiner Arbeit, sondern sogar noch das, was niemand wissen durfte. »So muss man drauf sein, um Profit zu machen. Millionen riskieren.«
»Das sind doch Peanuts für euch«, sagte Meike. So konnte man es auch sehen. Peanuts. Bestimmt dachte sie, jeder bei uns benutzt dieses Wort drei Mal täglich.
»Na, egal. Ich hab das schon im Griff. Ist halt einfach mehr Stress als bei dir auf dem Land.«
Sie schwieg.
»Wohnst du in einem ehemaligen Bauernhof?« Sie antwortete nicht, nickte aber.
»So richtig schön alt?«
»Ein kleines bisschen außerhalb von Tetenstedt. Direkt hinter dem Deich«, sagte sie.
»Mit Strohdach und Kachelofen?« »Ja,
Weitere Kostenlose Bücher