Das War Ich Nicht
hergestellt wurde. Jetzt musste Meike es klingeln hören, ich hoffte, mein Klingelton gefiel ihr. Krieg der Sterne.
Und siehe da, es hatte geklappt, wir waren verabredet. Morgen schon würde ich sie wiedersehen, auf einen Espresso.
Den Rest des Abends las ich in dem Buch, das ich mir gekauft hatte, Unterm Ahorn. Schließlich wollte ich auf mein Date mit Meike vorbereitet sein, denn das hatte ich mir vorgenommen: Ich würde nicht über meine Arbeit reden und nicht nach ihrem Vorleben fragen; es durfte mich nicht interessieren, ob sie einen Exfreund hatte. Oder sogar einen Freund. Es war schon unvernünftig genug, dass ich mich überhaupt mit ihr traf, da musste ich wenigstens währenddessen einen kühlen Kopf bewahren. Über Dinge reden, die sie interessierten. Literatur. Henry LaMarck.
Ich begann zu lesen, legte das Buch jedoch bald wieder weg.
Irgendwie war das alles nicht logisch. Warum saß dieser Graham Santos die ganze Zeit unter Palmen, wo das Buch doch Unterm Ahorn hieß?
Am nächsten Morgen passierte ich um 2:15 die Speed-Gates. Sobald in Europa der Handel angefangen hatte, konnte ich an Schlaf nicht mal mehr denken, viel zu groß war die Hoffnung, dass HomeStar heute fallen würde. Dass dies der Tag war, an dem meine Wette aufging.
Er war es nicht. Ein müdes Plus von 0,7 % zum Handelsauftakt hielt sich den ganzen europäischen Vormittag. Als wüsste keiner, ob der Aufwärtstrend noch intakt war oder im nächsten Moment alle sagten: April, April! Übertreibung! Blase!
Ich versuchte so wenig wie möglich daran zu denken, dass meine Verluste sich auch bei diesem moderaten Kursanstieg weiter erhöht hatten. Fast erschienen sie mir inzwischen normal, diese siebenstelligen Summen, die ich nicht mehr genau ausrechnete. Tat das Gleiche wie gestern: Stellte die alten Positionen glatt und kaufte alles gleich wieder neu.
Um 10:33 kam eine Mail von der Personalabteilung. Ich bekam nur einen kurzen Schreck. Per Mail wurde man nun wirklich nicht gefeuert. Es waren die üblichen Infos über neue Mitarbeiter, die ich normalerweise nur überflog. Doch diesmal las ich:
Brittany Page, Leiterin des Back-Office, ist zurück aus dem Mutterschaftsurlaub und ab sofort wieder unter der Durchwahl -8346 erreichbar.
Ich ballte eine Faust, bis der Plastikkugelschreiber zerbrach, mit dem ich mir gerade noch Notizen gemacht hatte. Das war die beste Nachricht seit Langem. Ein Führungswechsel im BackOffice gab mir zusätzliche Zeit, bis sich dort wieder alle aneinander gewöhnt hatten. Zeit, in der sich kaum jemand um komplizierte Dinge kümmern würde.
Noch besser war: Ich kannte Brittany. Wusste, worauf sie achtete, und es war sicherlich nicht ihre erste Priorität, alle inaktiven Accounts zu kontrollieren.
So ging das mit der Karriere! Man musste nur was riskieren.
Wahrscheinlich konnte ich noch viel mehr machen, ohne dass es auffallen würde. Ich dachte an die fingierten Kaufoptionen, mit denen ich so tat, als ob die Verluste aus meinen Verkaufsoptionen ausgeglichen wären. Könnte es nicht noch besser sein, wenn ich so tat, als ergäben sich dabei sogar kleine Gewinne?
Ich öffnete Neelys Account. Fand eine Position mit fiktiven Kaufoptionen und buchte in Equinox ein, dass ich sie wieder verkauft hatte. Nur, dass ich nicht den Kurs von 13,60 eingab, den die Kaufoptionen gerade wert waren. Stattdessen gab ich ein, sie zum Kurs von 13,80 verkauft zu haben, sodass ein kleines virtuelles Plus blieb. In Equinox konnte ich ja ein buchen, was ich wollte. Supermarktkasse.
Bis auffallen würde, dass das, was ich eingebucht hatte, nicht mit dem Stand der Konten übereinstimmte, hatte ich sicher schon wieder so viele neue Transaktionen gemacht, dass sie mit dem Nachrechnen nicht hinterherkamen - schon gar nicht jetzt, wo sich Brittany wieder als Back-Office-Chefin einarbeiten musste.
Und ob ich meine Millionenverluste durch fiktive Kaufoptionen nun lediglich ausglich oder da ein paar Tausend Dollar Gewinn standen, erhöhte die Gefahr entdeckt zu werden nicht wirklich. Im Gegenteil: Falls jemand sich Neelys Portfolio doch mal genauer ansah, würde er vielleicht weniger schnell misstrauisch werden, wenn da ein kleiner Gewinn stand.
Langsam bekam ich das Gefühl, richtig gut geworden zu sein. Wäre da nur nicht das Brennen in meinem Magen. Ich hielt es kaum noch aus. Schloss die Augen. Versuchte, daran zu denken, dass ich in ein paar Stunden Meike treffen würde, aber auch das half nichts. Um mich abzulenken, nahm ich Unterm Ahorn
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