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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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als auch Mütze waren Fanartikel der Chicago White Sox; noch nie hatte ich jemanden gesehen, der so auffällig vermummt war.
    Da fiel mir ein, wo ich diese Frau schon einmal gesehen hatte.
    Im Fahrstuhl auf dem Weg abwärts aus dem Walnut Room. Das war sie also, die Detektivin des Verlags. Gracy Walsh hatte mich doch nicht vergessen. Sie hatten mich nicht aufgegeben und mir einen Schutzengel an die Seite gestellt, der sich im Hintergrund hielt, diskret, aber doch sichtbar.
    Etwas Geduld musste der Verlag allerdings noch aufbringen.
    Erst musste ich mit dem verzweifelten Business-Boy reden. Dann konnte ich dem Verlag mitteilen, dass meinem Jahrhundertroman nichts mehr im Wege stand; dass er zwar später käme als geplant, aber dafür umso großartiger würde, denn das Wichtigste hatte ich ja jetzt gefunden - meine Inspiration.
    Als ich alles auswendig gelernt hatte, begann ich mit dem zweiten Teil der Vorbereitung und las das Wall Street Journal. Böhmische Dörfer: Zinsen, die sich bewegten und dafür sorgten, dass einzelne Anleihen stiegen, was sich irgendwie auf Aktien auswirkte, deren Kursverkäufe Bodenbildungen zeigten, Trendkan äle durchstießen, Schulter-Kopf -Schulter-Formationen ausbildeten, zum Teil mit verkrüppelt er Schulter, Hebelwirkung ... Ein Kolumnist fragte sich angesichts der Euphorie bei irgendwelchen Hypothekenbanken, ob es besser wäre zu kaufen, solange Gerüchte kursierten, und zu verkaufen, sobald wirkliche Nachrichten kämen. Oder umgekehrt. Oder beides. Oder nichts davon. Was auch immer. Ich interessierte mich nicht für Geld. Ich hatte Geld. Es lag auf meinem Girokonto, brachte, glaube ich, sogar Zinsen, während mein Bankberater mich bekniete, ich solle es in Aktien anlegen oder zumindest in Staatsanleihen, damit es sich vermehrte. Meine Antwort war immer: Es vermehrt sich doch auch so.
    Auftritt: der Business-Boy. Im selben Tempo wie alle anderen ging er aus der Drehtür, dann wurde er schneller. Er überquerte die LaSalle Street eiligen Schrittes - wie jemand, der in Hitchcock-Manier einen Cameo-Auftritt in einem Film absolvierte und wusste, dass er eigentlich nicht in diese Szene gehörte. Die letzten Meter zum Caribou legte er fast rennend zurück. Als er die Tür erreichte, erhob ich mich, schritt die Treppe von der Galerie hinab, die sich, obwohl sie eine Wendeltreppe war, anfühlte wie eine Showtreppe. Auftritt: Henry LaMarck. Ich hielt auf die Schlange zu, in die er sich eingereiht hatte, stellte mich direkt hinter ihn. Ich starrte auf seinen Hinterkopf, seine Locken, seinen Hemdkragen. Nun musste ich etwas sagen. Warum ist es bloß so laut hier, dachte ich noch, während die Espressomühlen heulten, Milch fauchend aufschäumte, dann hörte ich seine Stimme. »Einen Americano.« Mit europäischem Akzent. Deutsch. Ich konnte doch nicht einfach einen Europäer ansprechen. Bei einem Amerikaner hätte ich es getan, versuchte ich mir noch einzureden. Aber die Wahrheit war: Ich traute mich nicht. Er drehte sich um. Unsere Blicke trafen sich - nur ganz kurz, doch lang genug dafür, dass ich einen Schreck bekam. Die Augenringe, die leicht vorgebeugte Haltung, die auf dem Foto aussah wie feine Melancholie, hatte nun etwas Erschöpftes bekommen. Als hätte er seit Tagen kaum geschlafen.
    Er stellte sich an die Kaffeeausgabe. Ich bestellte dasselbe wie er. Dann warteten wir gemeinsam auf den Barista, der zusammen mit der Milch die Zeit aufschäumte, bis sie sich unendlich dehnte. Wir standen da, umgeben von diesen Finanztypen, stumm, wie Statisten in einer Kunstperformance, die sich mit dem Thema Business auseinandersetzte. Mein Herz. Plötzlich gefiel mir die Einsamkeit meiner letzten Jahre gar nicht mehr so schlecht. Ich gehörte nicht hierher, ich gehörte in den Walnut Room, gehörte zu Enrique und Val Swanthaler; das war meine Welt, die ich mir nicht ohne Grund gewählt hatte. Für solche Aufregungen war ich zu alt.
    Ich brauchte mich nur umzudrehen, dann könnte ich gehen.
    Also drehte ich mich um. Und ging. Kam aber nur drei Schritte weit, als der Barista den ersten Americano ausrief, nach dem der verzweifelte Business-Boy die Hand ausstreckte, doch ich war schneller.
    »Entschuldigung, Americano?«, sagte er. »Ja.«
    »Das ist meiner«, sagte er. Genauso hatte ich es mir ausgedacht.
    »Oh, Entschuldigung. Ich bekomme auch einen, aber Sie sind natürlich ... bitte.«
    »Kleiner Americano«, sagte der Barista noch mal. Meine Szene funktionierte!
    »Sehen Sie?« Was kam jetzt? Ach

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