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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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ja: »Wo ist hier der Süßstoff?«
    »Da drüben«, sagte er. Bis hierherzukommen war kein Problem. Das waren die wenigen Sekunden, die ein, zwei freundlichen Sätze, die ein beschäftigter Mann einem Fremden zu geben bereit war.
    »Sie scheinen sich hier ja gut auszukennen. Arbeiten Sie hier in der Gegend?«
    »Bei Rutherford & Gold«, sagte er und wies mit dem Kopf Richtung LaSalle Street.
    »Ach, wirklich? Kann ich Sie etwas fragen?«, sagte ich und holte mein Wall Street Journal heraus, die Seite mit den Stellen, die ich wahllos markiert hatte. Er sah mich an und sagte Ja, eher fragend als ermutigend.
    »Es ist nur eine kurze Frage, wenn Sie einen Moment, also, ich bin Schriftsteller und ... « Das war zugegebenermaßen etwas armselig, aber so hatte ich es nun mal aufgeschrieben. Eigentlich müsste ich Meister im Flirten sein, so viele gute Anmachen wie ich in meinem Leben schon geschrieben hatte, doch dieses kleine Drehbuch war das erste, was ich seit einem Jahr zu Papier gebracht hatte. Ich war aus der Übung. Wie ein Bettler eine von Hand beschriebene Pappe, hielt ich das Wall Street Journal vor meinen Bauch und wollte gerade meinen Namen sagen, da sagte er:
    »Kenne ich Sie nicht von irgendwoher? Sie sind Henry LaMarck.«
    Filmriss. Früher im Kino hätte die Leinwand jetzt gleißend weiß geleuchtet, heute, im Zeitalter der Videobeamer, wäre sie wohl blau geworden, mit Worten darauf wie: Kein Signal.
    »So ein Zufall. Sie sind mein Lieblingsschriftsteller. Unterm Ahorn ist so ein tolles Buch. So intensiv. Wollen wir einen Kaffee trinken ?«

»Ja«, sagte ich und widerstand dem Impuls, ihn zu umarmen.
    Ich war auf einen Fan gestoßen. Kein Signal.
    Er setzte sich an einen Tisch und schob die Sandwichpackungen vorheriger Besucher zur Seite. Ich hatte meinen Americano an der Theke stehen lassen, half ihm trotzdem, Platz zu machen, indem ich die Sandwichpackungen dorthin schob, wo eine dritte Person hätte sitzen können, etwas zu schwungvoll, sodass ein halb gegessenes Roggenbrotsandwich mit Alfalfasprossen auf den Boden fiel.
    »Das lese ich gerade. Zum zweiten Mal«, sagte er. Er hielt Unterm Ahorn in der Hand. Hätte ich nicht gesessen, ich hätte mich setzen müssen. Mir war nicht aufgefallen, dass er ein Buch bei sich trug, hatte nur auf sein Gesicht geachtet. Ich versuchte ruhig zu bleiben, hielt mich am Wall Street Journal fest und sagte:
    »Das lesen Sie bestimmt auch, oder?« »Nie. Keine Zeit.«
    »Ach, wirklich? Ich schreibe einen Roman. Darüber«, sagte ich oder besser, log ich und zeigte auf irgendeine Stelle. »Über dieses ... «
    »Hebelwirkung?«, fragte er. »Ja.«
    Er sah mich ungläubig an.
    »Nicht direkt. Das ist eine Metapher.« »Und wofür?«
    »Das weiß ich noch nicht, deswegen würde es mich freuen, wenn Sie mir das erklären könnten.«
    Daraufhin sah er mich zwar nicht weniger ungläubig an, schien sich aber darauf einzulassen.
    »Also, das ist so ... «, ich sah ihn an, er fuhr sich durch die Haare, sodass einige Locken sich aus dem Griff des Gels lösten. Er redete, ich lächelte, nickte. Er trug eine schwarze Anzughose, ein tailliert geschnittenes Hemd, keine Krawatte, kein Jackett. Heute war nur der obere Knopf des weißen Hemdes offen, nicht zwei wie auf dem Foto in der Tribune. Mit meinem Nadelstreifenanzug, dem hochgeschlossenen Hemd, der gestreiften Krawatte kam ich mir hoffnungslos overdressed vor. Als auch ich mir durch die Haare fuhr, fiel mir wieder ein, dass sie grau waren - warum hatte ich das bloß getan? Ich sah aus wie ein Rentner, der einen Einkaufsgutschein bei Boss gewonnen hatte.
    »Und wenn am Verfallstag die Verlustschwelle unterschritten ist ... « Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, nickte aber weiter, da ich ihm gerne zunickte. Da saß er nun vor mir und erklärte mir diese Hebelwirkung. Nicken. Lächeln. Nicken. Es war eines dieser Chicagoer Wunder, der Fluss hatte die Richtung gewechselt. Da machte er plötzlich eine wilde Bewegung mit dem Arm. Hatte er Peitsche gesagt?
    »Wenn ich jetzt ausholen würde, müsste ich nur ein bisschen ... so. Eine kleine Bewegung mit der Hand - ein großer Ausschlag mit der Peitsche.« Er zischte durch eine kleine Lücke zwischen seinen Schneidezähnen und zog den in der Schlange wartenden Bankern eins über. »Das ist Hebelwirkung. Mit wenig Kapitaleinsatz kann ich durch Optionen viel gewinnen. Oder alles verlieren. Manche mögen das unmoralisch finden, Zockertum und so. Oder langweilig.«
    »Ach, wirklich? Aber

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