Das War Ich Nicht
aus meiner Schreibtischschublade. Es war Mittagszeit. Niemanden würde es wundem, wenn ich ein paar Minuten las. Gerade suchte ich nach der Stelle, wo ich aufgehört hatte, da fiel eine große Hand auf meine Schulter.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte Alex, so sehr musste ich zusammengezuckt sein.
»Spannendes Buch«, sagte ich. Noch nie hatte sich Alex bei mir für etwas entschuldigt. Er versuchte sogar eine Art Lächeln. Waren meine unautorisierten Transaktionen so offensichtlich, dass er sie sofort entdeckt hatte und nun dachte, ich wäre verrückt geworden? War er deswegen so freundlich, weil er Angst hatte, ich würde gleich durchdrehen, eine Waffe ziehen und hier rumballern?
»Ich habe mir das mal angesehen«, sagte er, und bei jedem der folgenden Worte griff er mit seinen Fingern in meinen Schultermuskel. »Das machst du gut. Du engagierst dich. Weiter so.« Ich verlagerte mein Gewicht auf die linke Körperhälfte. Von ihm weg.
Sollte das ein subtiler Hinweis sein, dass ich mit meinen unautorisierten Geschäften aufhören musste? Doch das hatte keinen Sinn. Wenn er wirklich etwas entdeckt hätte, wäre er mit dem Sicherheitsmann gekommen, und hätte mich bereits gefeuert. Oder wollte er mir eine letzte Chance geben? Konnte ich etwas retten, indem ich alles gestand? Jetzt, sofort?
»Und sonst geht's gut?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich. »Wie immer. Und selbst?« »Na, du weißt ja, ich fahre bald in Urlaub.«
»Ja, stimmt«, sagte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, wovon er sprach.
»Die Motorradtour«, sagte Alex.
»Genau«, sagte ich und erinnerte mich nun doch. Alex sprach schon seit Monaten davon, dass er diesmal etwas mehr Urlaub nehmen wollte. Er hatte sich eine Harley Davidson gekauft und wollte von San Francisco nach Mexiko fahren. So weit nach Süden wie möglich.
»Nach Mexiko, oder?«, fragte ich.
»Eigentlich würde ich gern weiter fahren, aber dafür reicht die Zeit nicht. Irgendwann, da nehme ich mir ein halbes Jahr frei und fahre von Alaska nach Feuerland. Immer am Pazifik entlang. Dieser Trip ist eine Art Vorbereitung.«
»Cool«, sagte ich. Dann war er weg.
Er konnte nichts entdeckt haben. Wahrscheinlich hatte er einfach das kleine Plus in meinem Account gesehen, das Geld, das ich von Neely zu mir rübergebucht hatte, um Jeffs Verlust auszugleichen. Dafür hatte er mich gelobt. Für Alex war ich immer noch einer seiner braven Angestellten, die Kundenaufträge ausführten. Ein Lieferant, der im Auftrag von Restaurants Austern im Großmarkt besorgte. Nur, dass ich seit einigen Tagen Austern kaufte, die niemand bestellt hatte. Und sie dann heimlich aufbrach, in der Hoffnung, in einer von ihnen eine Perle zu finden, mit der ich meine Schulden bezahlen konnte.
Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Es war gut, dass Alex das kleine Plus gesehen hatte, denn er verdiente an meinen Gewinnen mit. Je mehr Geld ich verdiente, desto mehr verdiente die Abteilung insgesamt, und desto höher wurde Alex' Bonus. Solange sein Bonus sich erhöhte, würde er nicht misstrauisch werden. Es war mein Glück, dass der Letter Day unmittelbar bevorstand, der Tag, an dem wir unseren Jahresbonus bekamen. Der Tag, an dem das ganze letzte Jahr, Erfolg oder Misserfolg, ersetzt wurde durch eine Zahl. Bei mir waren es im letzten Jahr nicht einmal 10.000 Dollar gewesen.
Ich öffnete erneut Neelys Account, erhöhte meinen Einsatz, verkaufte, kaufte, hielt alles in Bewegung. Buchte wieder eine Transaktion mit fiktiven Kaufoptionen so ein, dass im System ein kleiner Gewinn blieb.
Telefon. Ein Kunde hatte eine Frage zu einem Index-Zertifikat. Während ich ihm antwortete, sah ich, wie HomeStar im nachbörslichen Handel in Europa weiter stieg. Ein Prozent, zwei Prozent. Der Kunde hörte nicht auf zu reden, irgendein inkompetenter Zausel von einer Lebensversicherung in South Dakota.
Irgendwann kam der Abend und somit mein Date mit Meike. Ich hatte mich darauf eingestellt, auf sie zu warten, mich sogar darauf gefreut, im Caribou an einem Tisch zu sitzen und jedes Mal nervös zur Tür zu blicken, wenn sie aufging. Doch als ich um 18:55 kam, war sie schon da.
»Zwei doppelte Espresso«, sagte ich. Sie sagte wieder nichts. »HST ist übrigens nicht gefallen.«
»Wer?«
»HomeStar. Ist sogar gestiegen.« »Hatte ich gesagt, die würden fallen?«
»Ich habe natürlich entsprechend reagiert.«
»Börse interessiert mich nicht so«, sagte sie. Das hatte ich geahnt, hätte aber trotzdem am liebsten
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