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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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Liebend gern hätte ich sofort seinen Namen gewusst, aber ich traute mich nicht, es wäre mir vulgär vorgekommen. Er stand auf. Musste wieder nach drüben, zu diesen Märkten, an denen sich ja dauernd etwas tat.
    »Ach so«, sagte er dann, »könnten Sie noch?« Er gab mir sein Exemplar von Unterm Ahorn.
    Routiniert zückte ich den Hotelkugelschreiber aus dem Estana, ließ mit einem forschen Klick die Mine herausspringen, schlug das Buch auf - dann wusste ich nicht mehr weiter. Was sollte ich schreiben? Love? Kann man das einfach schreiben? Oder musste man dann Peace dazuschreiben, damit es ein Hippiezitat war und er das mit Love nicht so ernst nahm? Wollte ich, dass er es ernst nahm? Grüße? Nun hatte ich schon angefangen, der Strich für das L war gemacht. Ich überlegte noch, daraus ein LaMarck zu machen, da schrieb ich schon: Love, Henry.
    Dann verabschiedeten wir uns. Ich ging wie auf Wolken, legte den Kopf in den Nacken. Der Himmel war blau. Ich hätte gern Sterne gesehen, aber es war erst Mittag. Ich prallte gegen einen Mann, der fast den gleichen Anzug trug wie ich. Statt um Entschuldigung zu bitten, lächelte ich ihn an und ging weiter. Dann nahm ich die Serviette aus der Tasche. Der Business-Boy hieß Jasper Lüdemann und arbeitete in meiner Bank, die für mich immer ein rätselhafter Ort voller leise ausgeführter obskurer Handlungen gewesen war, wo es das ganze Jahr Kaffee gab und in der Adventszeit Kekse. Nun dachte ich an Rutherford & Gold, und mir wurde warm ums Herz.
    Zurück im Hotel stellte ich fest, dass das Zimmermädchen statt Schokolade ein Tütchen mit Wasabinüsschen gebracht und auf meinen Nachttisch gelegt hatte - nicht auf das Kopfkissen. Wir begannen uns zu verstehen.
    Ich musste mich regelrecht zwingen, nicht sofort auf dem Estana-Briefpapier meinen Jahrhundertroman zu beginnen. Die Kennenlern-Szene, die ich gestern für Jasper und mich geschrieben hatte, hatte funktioniert. Ich konnte es also noch! Doch ich wollte das nächste Treffen mit Jasper abwarten. Mich von seinen Erzählungen leiten lassen. Auf dem Schreibtisch lag der rote Umschlag mit dem Wort NOTFALL. Ich drehte ihn um, sodass der Schriftzug Shareditch Hause oben lag. Ich konnte kaum glauben, dass ich vor einigen Tagen noch kurz davor gewesen war, ihn zu öffnen. So was Albernes. Als ob so ein Umschlag mir helfen könnte. Der Einzige, der mir helfen konnte, war ich selber. Und siehe da, ich hatte es getan. Ich legte den Umschlag in die Minibar und drückte sie besonders fest zu.
    Das Gefühl von Sinnlosigkeit, das mich befallen hatte, die ganze Verzweiflung, löste sich wie ein klebriges Hustenbonbon. Der verzweifelte Business-Boy, der nicht einmal Zeit für das Wall Street Journal hatte, las meine Romane!
    MEIKE
    Als ich nach dem Treffen mit Jasper wieder bei den Nonnen ankam, fand ich eine Rechnung auf meinem Zimmer, die mir bewusst machte, was ich zu verdrängen versucht hatte: Mir lief die Zeit davon. Außerdem war die Rechnung höher, als ich gedacht hatte; das Frühstück kostete extra, und es gab mehrere Steuern, die nicht im Preis inbegriffen waren.
    Durch die Klimaanlage, die einfach in mein Fenster gesetzt worden war und durch die kalter Wind zog, hörte ich Lachen im Hinterhof, das auch Schreien hätte sein können. Autotüren schlugen zu, schwere Technobässe von weit weg, ab und zu ein Motorengeräusch.
    Ich aß ungetoastetes Toastbrot und las in Unterm Ahorn, der deutschen Übersetzung, meinem Werk. Henry LaMarck war der beste Schriftsteller der Welt. Aber dass selbst solche langweiligen Schnösel wie dieser Jasper ihn nicht nur kannten, sondern sogar gelesen hatten, überraschte mich doch. Wenngleich Jasper natürlich nicht verstanden hatte, dass der Titel Unterm Ahorn metaphorisch gemeint war. Zu fern lag das seiner Welt der Zahlen, in der er alles im Griff hatte, von der er so viel erzählte, dass mir unsere halbe Stunde sehr lang vorgekommen war.
    Doch wenigstens wusste ich nun, dass ich noch in der Lage war, mich normal zu verhalten. Andere Leute hatten so was dauernd: schnelle, routinierte, unaufgeregte Dates mit Leuten, die sie nicht interessierten; und so war es auch bei Jasper und mir gewesen, fast so unromantisch wie mit Arthur vor zehn Jahren in der Haushaltswarenabteilung von Karstadt.
    Zugegeben, bei der Darstellung meiner Lebensumstände hatte ich etwas übertrieben, was dazu führte, dass mir meine Wirklichkeit umso kümmerlicher erschien, doch immerhin hatte er mir geglaubt. Und wer weiß, in

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