Das War Ich Nicht
dass er Jordan hieß - und die jeweilige Kalenderwoche. Hatte sie mir bei der letzten Back-Office-Weihnachtsfeier erzählt, als sie zu viel getrunken hatte, wie die anderen Langweiler auch. Da Brittany kein besonders origineller Mensch war, versuchte ich es nun einfach mit dem Namen ihrer Tochter und der Kalenderwoche: Marjorie0 6. Nachdem ich auf Login geklickt hatte, kam mir das Ganze plötzlich absurd vor. So einfach konnte das doch nicht sein. Rechnete fest mit einem Zugriff verweigert, doch stattdessen sah ich einen Fortschrittsbalken, der sich langsam füllte. Dann war ich drin. Mit Brittanys Security-Clearance im System! Konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Eigentlich durften Händlersaal und Back-Office nichts miteinander zu tun haben. Die für uns und für sie zugänglichen Informationen wurden streng getrennt, wie durch eine Chinesische Mauer. Ich hatte sie durchbrochen.
Sah ihre Desktop-Oberfläche auf meinem Bildschirm. Fand Account 8-4339633. Löschte die 8, die dafür stand, dass es ein internes Konto war. Ersetzte sie durch eine 6, die die Konten von privaten Anlegern markierte.
Ich löschte Neelys Daten. Nun brauchte ich nur noch einen Namen für meinen Kunden. Wenig später war ein gewisser Mister Graham Santos Kunde von Rutherford & Gold. Obwohl es ihn erst seit ein paar Minuten gab, hatte er bereits ein Vermögen verloren.
Eine dauerhafte Lösung war das natürlich nicht. Schließlich war es weiterhin das Geld der Bank, das ich verloren hatte, auch wenn es jetzt so aussah, als ob ein Kunde diese Geschäfte gemacht hätte. Aber es hatte sich wieder etwas verändert, das sie im Back-Office erst mal nachvollziehen mussten. Ich war ihnen wieder einen Schritt voraus.
Ich machte eine Pause, nahm Unterm Ahorn raus und aß ein Snickers. Las einige Sätze, dann hörte ich wieder auf. Verglichen mit dem, was gerade in meinem Leben passierte, kam mir alles in diesem Buch langweilig vor. Ich ließ den Blick über die Monitore schweifen wie ein stolzer Fußballtrainer, dessen Mannschaft sich genau so verhielt, wie er es ihnen gesagt hatte. Doch irgendwas war anders. Dieselben Daten wie immer. Nichts hatte sich getan. Ludemann stand da auf meinem Schild, wie immer, doch daneben war nichts. Die Schalkefahne war weg.
Ich gab mir nicht die Blöße, unter meinen Schreibtisch zu krabbeln und zu suchen. Niemand sollte sehen, dass mich das störte. Ich kaute einfach weiter. Gönnte mir eine Pause. Mit einem guten Buch. Schlug Unterm Ahorn am Anfang auf. Hatte ganz vergessen, dass Henry LaMarck mir eine Widmung reingeschrieben hatte: Love, Henry. Dieser Schriftsteller war schon ziemlich merkwürdig. Aber die Amerikaner gingen mit dem Wort love ja generell ziemlich sorglos um. Sorgloser als wir Deutschen zumindest. Und wenn ich jetzt einfach eine SMS an Meike schickte: Liebe, Jasper? Ich nahm mein Handy. Doch natürlich schrieb ich nichts dergleichen. Das wäre undenkbar. Da sah ich, dass ich eine SMS von Meike bekommen hatte. Ich musste es überhört haben. Mir fiel auf, dass ich nicht mal wusste, wie der Benachrichtungston von diesem neuen Handy war.
Meike hatte auf meine SMS von gestern geantwortet. Mir auch einen Smiley geschickt. Das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte schon wieder, doch ich legte das Handy nicht aus der Hand. Rief Meike an und hörte Sekunden später bereits ihre Stimme.
»Hallo?«
»Ich habe ein Geschenk für dich. Hast du Zeit?«, sagte ich und hielt die signierte Ausgabe von Unterm Ahorn fest in der Hand.
»Ja. Heute Abend. Um sechs?«
»Ja«, sagte ich und zögerte einen Moment. Genau um diese Zeit war ich mit Henry LaMarck verabredet. Doch ich musste Prioritäten setzen. »Um sechs. Wollen wir uns im Lincoln Conservatory treffen? Im Palmenhaus?«
»Ja«, sagte Meike. »Sehr gern.«
14:33. Ich wünschte, die Zeit bis zu unserem Treffen im Palmenhaus wäre schon rum. Gleichzeitig hoffte ich, der Nachmittag würde ewig dauern, so viele Transaktionen musste ich machen, um das Casino am Laufen zu halten. Noch halb mit den Gedanken bei meinem Telefonat mit Meike, sah ich aus dem Augenwinkel ein rotes Blinken auf dem Bloomberg-Monitor. Home Star drehte ins Minus. Ich hatte es gewusst! Auf dem Analystenmonitor eine neue Ad-hoc-Nachricht: Unter Marktteilnehmern wachsen Zweifel, dass die Praxis von Hypothekenbanken wie HomeStar, Immobilienkredite zu Mortgage Backed Securities zu bündeln und auf dem Kapitalmarkt zu verkaufen, auf Dauer zu einer zufriedenstellenden Rendite führen
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