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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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Zimmer, arbeitete mich durch Massen von bedrucktem Kram hindurch, ohne meine Füße zu heben, schlurfend wie durch trockenes Herbstlaub. Die wenigen Bilder hatte ich von der Wand genommen, um Zeitungsausschnitte aufzuhängen. Bilder von rauchenden Hochhäusern, staubbedeckten Geschäftsleuten, fliegenden Menschen, dem einstürzenden World Trade Center; Bücher über Kulturen, Kampf, Opfer, Flugzeuge. Ausdrucke von Internet-Material waren zu Haufen angewachsen, die aus den Ecken quellend den Raum in Besitz genommen hatten. Hier lag mein Roman. Ich hatte noch keine Zeile geschrieben, aber immerhin recherchiert. Viel recherchiert.
    Wie der Schreibtisch schon dastand. Pompös und drohend.
    Mein mahagonifarbener Laptop lag darauf und blinkte, wie ich fand, vorwurfsvoll. Ich hatte ihn mir gekauft, um auch mal woanders schreiben zu können, mich aber für das Modell mit 18-Zo11-Bildschirm entschieden, das schön groß war, aber viel zu schwer, um es herumzutragen. Vielleicht blinkte er auch gar nicht vorwurfs-, sondern eher erwartungsvoll? Ich musste nur noch meine Bankunterlagen finden, dann konnte mich nichts mehr aufhalten. Ich werde wieder schreiben, sagte ich zu dem Laptop oder eher zu mir selbst. Schreiben.
    Ich nahm das Schränkchen am anderen Ende des Raumes ins Visier und dachte an Jasper. Ich arbeitete mich langsam vor, trat auf Geschosspläne des World Trade Centers, die ich mir besorgt hatte, von jedem der 11O Stockwerke, Detailpläne noch und nöcher, umschiffte einen Haufen mit Notizen auf Einkaufsquittungen, Servietten aus dem Walnut Room, Mann erkennt Verderblichkeit im Supermarkt, meinte ich auf einer erkennen zu können, es hätte aber auch Mann erkennt Vergänglichkeit in Supermoral heißen können. Dann hatte ich das Schränkchen erreicht, kniete nieder, öffnete es und fand die Mappe mit den rotblau-weißen Linien, die so aufeinandertrafen, dass sie an Hände erinnerten, die einander hielten, dem Logo von Rutherford & Gold.
    Dafür, dass ich so viel Geld hatte, war die Mappe ziemlich dünn. Ich hatte es mir angewöhnt, die meisten Sachen, die mir die Bank schickte, Kontoauszüge und dergleichen, sofort wegzuschmeißen. Ihre persönlichen Daten zu unserem persönlichen Service stand auf der Mappe. Das mit dem persönlichen Service würde ich nun ernst nehmen. Dafür hatte ich mich durch mein Arbeitszimmer gekämpft. Nun konnte ich gehen, Jasper treffen und alles würde gut werden.
    Das Schränkchen war so vollgestopft, dass, als ich die Mappe genommen hatte, jede Menge Papiere heraus gefallen waren, die ich nun wieder hinein zustopfen versuchte, doch je mehr ich stopfte, desto mehr kam mir entgegen.
    Der Brief fiel mir direkt vor die Knie.
    Ich erkannte ihn sofort, denn das Format war anders, länger und schmaler als die amerikanischen Blätter, es war das deutsche Format. Als ich ihn vor ziemlich genau zwei Monaten geöffnet und diese fünf in ausdrucksvoller Handschrift eng beschriebenen Seiten gesehen hatte, bekam ich sofort ein ungutes Gefühl. Ich erhielt oft solche Briefe von Lesern und warf sie immer sofort weg. Aber diesen Brief las ich, da er nicht von einem Leser kam, sondern von meiner deutschen Übersetzerin. Jedes s vollführte eine scharfe Kurve, die ausladenen Bögen eines jeden g schlugen mir wie Baseballschläger Worte aus dem Drahtgewirr der Schrift entgegen.
    In diesem Werk geht es doch um ... Glaubt man das?
    Dieser Bezug läuft ins Leere Ist das eine Metapher für . ..
    Die Straßenecke, an der die sich treffen, gibt es nicht! Ist es Absicht, dass das hier so unklar ist?
    Mühsam hatte ich versucht, diese Worte zu vergessen, und doch erinnerte ich mich an jedes von ihnen, wusste zu genau, warum ich diesen Brief hier hinten versteckt hatte, bei den Unterlagen, die ich ohnehin nie zur Hand nahm: meinen Bankunterlagen.
    Eigentlich hatte ich gleich nach meinem verpatzten Auftritt in der BBC-Talkshow vor einem Jahr anfangen wollen, meinen neuen Roman zu schreiben. Dann beschloss ich, mich vorher ein kleines bisschen zu informieren, ein paar Zeitungsartikel über den 11. September zu lesen. Doch je mehr ich las, desto mehr wollte ich wissen. Also besorgte ich mir Material, Material und noch mal Material, über Monate hinweg. Schließlich sollte es ja mein Jahrhundertroman werden, da konnte ich nicht einfach so drauflos schreiben - was dazu führte, dass ich überhaupt nichts schrieb.
    Spätestens als ich anfing, die Grundrisse des World Trade Centers Stockwerk für Stockwerk

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