Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
hundert Meter, aber mit jedem Schritt wuchs die Angst.
Hasserfüllte Blicke verfolgten sie. Den Menschen waren ihre knalligen Klamotten egal und auch, wer sie war – ein Fernsehstar oder eine von der Fahndungsliste. Aber ihnen war nicht egal, dass sie weiß war. Die Feindseligkeit, die ihr entgegenschlug, war fast mit Händen zu greifen.
Auf dem Blechschild neben Rosalies Haustür klebten Namensetiketten in mehreren Schichten übereinander. Im Treppenhaus roch es muffig, das ganze Haus wirkte bedrohlich.
Auch Rosalies Anblick erschreckte Doggie. Diese einst so blühende, strahlende Frau war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Doggie nahm sie in den Arm, sie ließ sie reden und weinen, sie ließ ihr so viel Zeit, wie sie brauchte. Rosalie ging es gar nicht gut.
Als sie fertig war, gab Doggie ihrer alten Freundin fünftausend Dollar und fragte, ob sie sonst noch etwas für sie tun könne. Rosalie verneinte. Doggie solle in der Wohnung auf sie warten. Jetzt würde Rosalie ihre beiden Jungs aus dem Gefängnis holen und für Frank einen Sarg besorgen.
»Aber bevor du gehst, Rosalie – hast du irgendwas im Haus, womit ich mir die Haare färben könnte? Ganz egal, was.«
Müde sah Rosalie sie an und fasste sich ans Haar. »Sieht man es doch so deutlich?«
Doggie lächelte. »Und hast du auch eine Schere?«
Während Rosalies Schritte im Treppenhaus verklangen, ging Doggie in die Küche. Desolat war gar kein Ausdruck, aber das war bei Rosalies gegenwärtigem Zustand ja auch kein Wunder.
Sie nahm das schwarze Haarfärbemittel und verabschiedete sich von ihrer blonden Haarpracht, die sie vor einem Monat noch ein kleines Vermögen gekostet hatte. Seufzend setzte sie die Schere an. Zum ersten Mal in ihrem Leben schnitt sie sichselbst die Haare, zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie kurze Haare haben.
Eine halbe Stunde später betrachtete sie bestürzt das Ergebnis. In dem Fummel von Ollie Boyce Hensons Mutter, mit schlecht geschnittenen, kohlrabenschwarzen Haaren und ohne jedes Make-up im Gesicht – weiter entfernt von dem Traum, eines Tages die Frau an der Seite des begehrtesten Junggesellen im Weißen Haus zu sein, konnte man nicht sein. Aber sie hatte ja keine Wahl.
Doggie fühlte sich unendlich einsam. Sie ging zurück in die Küche, nahm sich aus dem Kühlschrank etwas zu essen und schaltete den Fernseher ein.
»16.00 Uhr: Sonderpressekonferenz im Weißen Haus«, stand in der Ecke des Bildschirms, auf dem im Übrigen Wesley zu sehen war, der verkündete, der britische Premierminister werde dem Weißen Haus seinen ersten Besuch seit über vier Jahren abstatten. Er und Präsident Jansen hätten einiges zu besprechen. Das werde sicherlich dazu beitragen, die außerhalb der USA herrschenden Ansichten zu Jansens Reformen zu normalisieren, so die Einschätzung der Regierung.
Dann erzählte er – als sei das die natürlichste Sache der Welt – eine Anekdote aus Premierminister Terry Watts’ Privatleben: Sein Hund habe die Hälfte der Tapete im Wohnzimmer der Downing Street 10 ruiniert. Doggie sah Wesley an, wie er litt. Sie sah, wie falsch sein Lächeln war und wie ihm langsam der Schweiß ausbrach. Er tat ihr leid.
Wesley wandte sich der Runde handverlesener Journalisten zu, schürzte kurz die Lippen und setzte dann wieder sein bekanntes, gewinnendes Lächeln auf.
»Seit dem Beginn der Kampagne ›Für eine sichere Zukunft‹ sind über zwanzigtausend Drogensüchtige im Rahmen des sogenannten ›Großer-Bruder-Programms‹ in die Gesellschaft entlassen worden«, verkündete er vom Bildschirm. »Das Programm bedeutet, dass ehemalige Drogensüchtige einen anderenJunkie vom Zeitpunkt der Entlassung an auf Schritt und Tritt begleiten und ihm dabei helfen, clean zu bleiben. Innerhalb weniger Wochen ist etwas gelungen, das die jahrzehntelange fehlgeleitete Drogenpolitik nie auch nur annähernd erreichen konnte. Das Programm funktioniert. Uns liegen Informationen vor, denen zufolge nur eintausendzweihundert dieser zwanzigtausend Drogensüchtigen von dem Programm abgesprungen sind, während es dem Rest von Tag zu Tag besser geht.«
Im Anschluss folgten diverse Lobeshymnen auf das Programm des Präsidenten, dann wurde ein kurzer Bericht über einen Drogensüchtigen eingespielt, den man drei Wochen lang mit der Kamera begleitet hatte. Das Ergebnis grenzte in der Tat an ein Wunder. Aus dem asozialen, vergifteten und verwirrten Individuum, das man aus San Quentin herausgefischt hatte, war ein sympathischer, offener
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