Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
eine Tür verschwand, die in die Teeküche hinter dem Konferenzraum führte, wie Doggie wusste.
Wieder grummelte es in Doggies Eingeweiden. Stirnrunzelnd drückte sie sich auf den Bauch, bis das Geräusch verschwand. Nichts, aber auch gar nichts durfte jetzt ihre Konzentration stören.
Nach seiner Aussage war ihr Vater in die Teeküche gegangen, um für Mimi Jansen ein Glas Wasser zu holen. Ein Wasserglas, das Bugattis Theorie zufolge später in der Tasche von Ben Kane oder einem anderen verschwunden sein konnte. Mindestens die Hälfte aller Anwesenden hatte sich zu Boden geworfen, als der Schuss fiel. Falls ihr Vater hereingekommen war und das Glas angesichts dessen, was er sah, im Schock fallen gelassen hätte, wäre das Wasser überallhin gespritzt. Die Kleidung der Menschen hätte es aufgesaugt. Das Glas hätte einen der Liegenden getroffen … und wäre dann auf den Fußboden gerollt. In dem Tumult und der Verwirrung und der Angst, die alle erfasste, hätte niemand etwas bemerkt.
Sie hatte sich in der Sekunde nach dem Schuss verwirrt umgeschaut. Bugattis Verletzung hatte sie bemerkt, noch ehe sie all das Blut sah, das Blut an seinem Arm, das Blut unter Mimi Jansen und das Blut an der Wand hinter Toby O’Neills schmächtigem, verdrehtem Körper. Verzweifelt hatte sie sich umgesehen, und Ben Kanes und Thomas Sunderlands verbissene Gesichter waren ihr aufgefallen, als sie sich dem Toten näherten. Sie hatte nach ihrem Vater Ausschau gehalten, er hockte neben einem Verwundeten. Seine Hosenbeine wirkten dunkel, vom Blut, hatte sie damals gedacht. Jetzt wusste sie, dass es Wasser war. Auf den Gedanken hätte sie schon längst kommen müssen! Wieder kniff sie die Augen zusammen und sah Sunderland vor sich, wie er sich über die Sicherheitsbeamten beugte, die den Präsidenten abschirmten. Als er sie zur Seite zerrte, schnauzte er sie an. Seine dünnen Haare standenin alle Himmelsrichtungen, und das Futter einer Tasche war herausgestülpt. Seine sonst so ausdruckslose Miene spiegelte die widersprüchlichsten Empfindungen.
Doggie schreckte aus ihren Gedanken, als der Milchtransporter heftig bremste, sodass sie über den Boden rutschte. Ganz kurz glaubte sie, sie wären angekommen, aber dann brummte der Motor gleichmäßig wie zuvor. Sie wischte ein paar Gipsstücke vom Bein und spürte etwas Fremdes. Aufgeregt griff sie nach dem Handy, aber sie wusste schon, was sie sehen würde. Den Zettel. Einen kleinen Zettel mit einer langen Telefonnummer, die vor mehr als sechzehn Jahren John Bugatti mit seiner zierlichen Schrift dort notiert hatte. Die Nummer hatte wahrscheinlich seither oft gewechselt, und es war jetzt wohl ohnehin zu spät. Der Tumult in Tom Jumpers mobilem Sender, dessen Zeuge sie geworden war, verhieß nichts Gutes.
Auf dem Zettel waren lediglich »Onkel Danny« und die Nummer vermerkt. Genau wie Bugatti versprochen hatte. Eine Nummer in Washington, natürlich, wo auch sonst.
Weiter, Doggie, du musst weitermachen, dachte sie. Versuch’s, vielleicht stimmt die Nummer noch, obwohl so viel Zeit vergangen sind. Vielleicht kannst du Bugatti eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht ist ihm nichts passiert.
Mit klopfendem Herzen gab sie die Nummer ein und hob dann langsam das Telefon ans Ohr. Sie bemühte sich noch, ruhig zu atmen, da hörte sie schon das Rufzeichen. Wer würde antworten? Und würde überhaupt jemand abnehmen? Schließlich war es weit nach Mitternacht.
Mindestens eine halbe Minute musste sie warten, dann hörte sie eine müde Stimme: »Hallo. Danny hier.«
O Gott, es funktionierte! Gleichzeitig war es so unwirklich, dass sie sich fast nicht traute, etwas zu sagen. Warum hatte sie Bugatti damals nicht geglaubt? Warum hatte sie immer gedacht, damit hätte ein Erwachsener einem Kind nur raschüber den Schmerz hinweghelfen wollen? Warum hatte sie nicht glauben können, dass ein Mensch tatsächlich auf unbestimmte Zeit zur Verfügung stehen könnte?
Ihr Misstrauen beschämte sie. Dann sagte sie endlich: »Hallo. Spreche ich mit Onkel Danny?«
»Onkel Danny«, sagte er. »Seit zehn Jahren hat mich niemand mehr so genannt. Aber ja, das bin ich. Mit wem spreche ich?«
Seine Stimme war weit weg, sie klang klar und jung; sie hatte die eines älteren Mannes erwartet. Sie nannte ihren Namen nicht, sondern erzählte von Bugattis Versprechen, damals, vor vielen Jahren.
»Ich weiß«, antwortete er nur. »Ich habe viel von dir gehört. Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber John ist untergetaucht.
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