Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
Polizei, Chef,schon vergessen?« Sie las ihm die Nummer vor, T. notierte sie. Joe Simmons hieß der Techniker, also hatte er nicht ganz falschgelegen. Seine alten grauen Zellen waren noch nicht ganz auf dem Weg in die Senilität.
»Ich habe übrigens eine Nachricht für Sie.«
»Moment, bleiben Sie dran.« Fünfzig Meter entfernt trat einer von Sheriff Kitchens Leuten auf die Straße. Er war schwarz, wie zweiundsechzig Prozent der Bevölkerung in Sussex County, und T. kannte ihn gut. Noch ein Stück weiter hielten Demonstranten diverser Organisationen gegen die Todesstrafe Protestschilder hoch. Am Straßenrand waren Zelte aufgeschlagen.
T. nickte dem Beamten zu und fuhr durch die Menge. Anscheinend waren dieses Mal keine Anhänger der Todesstrafe angereist. Warum sollten sie hier auch ihre Zeit vergeuden?
»Eine Nachricht, sagen Sie? Irgendwas Wichtiges?«
»Kleinkram.«
»Gott sei Dank.«
»Eine Frau hat angerufen und wollte mit Ihnen reden. Klang, als würde sie Sie persönlich kennen. Vielleicht eine Verehrerin?«, neckte sie ihn und lachte.
T. überging die Indiskretion. »Können Sie sich an ihren Namen erinnern?«
»Also, hören Sie, Chef! Erinnern? Wozu gibt es denn Bleistifte?«
»Und?«
Geräuschvoll blätterte sie in ihrem Notizblock. »Doggie hat sie sich genannt, aber ihre Nummer wollte sie mir nicht verraten. Wieso bloß?« Wieder lachte sie auf.
T. ignorierte auch diesen Kommentar. »Gut. Aber wie ich Sie kenne, haben Sie ihre Nummer trotzdem?«
»Kleinen Moment, muss mal eben im Display nachsehen. Ja, hier hab ich sie. Eigentlich gehört die Nummer aber einem Frank Lee in der Bronx.«
Er schrieb sich die Nummer auf und fuhr an dem Warnschild an der Einfahrt zu Sussex I vorbei. Er war schon so oft hier gewesen, dass er den Text auf dem Schild auswendig konnte. Das Mitbringen von Alkohol, Drogen, Schusswaffen und Munition war verboten. Wer dem zuwiderhandelte, machte sich strafbar nach blablabla.
Er fuhr am Kraftwerk vorbei, parkte zwischen zwei von den vielen weißen Lieferwagen, die immer vor dem Haupteingang herumstanden, und winkte wie jedes Mal zum nächstgelegenen Wachturm hinauf. Dieses Mal wurde sein Winken allerdings nicht erwidert. Alles war menschenleer.
Auch auf seinem Weg vom Pförtner zum Büro des Gefängnisdirektors Bill Pagelow Falso bewegte er sich über verlassene Flure. Als er doch einem Angestellten begegnete, nutzte er die Gelegenheit, nachzufragen. »Sind etwa schon alle im Urlaub?«
»Urlaub? Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, Sheriff. Was glauben Sie denn, wie viele hier noch übrig sind?«
29
Im Vorzimmer des Gefängnisdirektors hatte immer eine anämische Dame mit auffälligem Südstaatendialekt gesessen. Jetzt war der Raum wie leergefegt. Als T. ins fensterlose Büro von Inspektor Bill Pagelow Falso vordrang, das Allerheiligste des Gefängnisses, rechnete er beinahe damit, es ebenso leer vorzufinden. Aber hier war es genau umgekehrt. Auf dem Schreibtisch des Inspektors türmten sich die Aktenmappen, ebenso auf den drei Rolltischen hinter ihm, und überall auf dem Fußboden lagen die aussortierten Papiere.
Falso behagten die Zustände überhaupt nicht, das war nicht zu übersehen.
»Sheriff T. Perkins in Person! Hat man da noch Töne. Was ist los?« Falsos Stimme klang müde, sein Gesicht konnte einen an eine Bulldogge erinnern. Die Ringe unter seinen Augen waren legendär, aber nun waren sie so tief, dass sie paradoxerweise fast verschwunden waren.
T. sah sich um. »Was los ist? Das fragst du mich?«
Als Falso den Kopf schüttelte, bebten seine Bulldoggenwangen. »Jaja, du wunderst dich, wie es hier aussieht. Auch hier ist die Welt aus den Fugen geraten. Nachdem wir gestern die letzten Gefangenen entlassen haben, ist eigentlich nur noch der Trakt mit den Todeskandidaten übrig. Ja, das Pack ist wieder auf der Straße. Wohin soll das in Gottes Namen führen?«
»Ich hab geglaubt, hier würde es von internierten Milizionären wimmeln.«
»Ach was! Die behält das Militär für sich. Quantico Marinebase oder Fort A. P. Hill, fahr da mal hin, da kannst du was erleben. Wir bekommen nur die zum Tode Verurteilten. AberGott sei Dank nicht alle. Inzwischen weigern sich die Ärzte herzukommen. Gäb es nicht die Militärärzte, dann müsste ich den armen Schweinen selbst die Nadel setzen.«
T. deutete auf die Mappen, auf die Falso seine dicken Unterarme stützte. »Wenn doch keine Gefangenen mehr da sind, was willst du dann mit den Akten?«
»Die hier? So
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