Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
Schädel einschlug.«
»Sie sind lustig. Das sind mindestens fünfzig Seiten, wie soll ich da die richtige Stelle finden?«
Er holte tief Luft. »Sie könnten zum Beispiel gleich auf der ersten Seite nachsehen, da gibt es ein Inhaltsverzeichnis. Und da ist eine Überschrift ›Psychologische Untersuchungen‹. Müsste ziemlich weit hinten in der Mappe sein.«
Sie blätterte geräuschvoll. Dann klingelte im Hintergrund ein Telefon. »Da gehen Sie jetzt bitte nicht dran, lassen Sie es einfach klingeln!«, rief er, und offenbar hörte sie ihn sogar.
»Bis wohin soll ich lesen?«
»Sehen Sie eine Überschrift mit ›sozialer irgendwas und Mobilität‹?«
»Ja, da steht ›sozialer Status und Mobilität‹.« Er sah es förmlich vor sich, wie sie den Finger ins Papier bohrte.
»Da steht nicht besonders viel, oder?«
»Nur ein paar Zeilen.«
»Lesen Sie mir die bitte vor?«
»Leo Mulligan wächst mit zwei Schwestern auf dem elterlichen Hof auf, den er übernimmt und alleine bewirtschaftet, bis seine Eltern sterben. Dann heiratet er die Tochter eines Geschäftmanns, die laut mehrerer Zeugenaussagen meint, unter ihrem Stand geheiratet zu haben. Die Frau setzt den Sohn schulisch unter Druck und verhöhnt ihren Mann öffentlich dafür, es nicht zu mehr gebracht zu haben. Droht ihm mit Scheidung und damit, dass er sie dann erst richtig kennenlernen würde. Schwadroniert, ihr Sohn werde es im Leben tausendmal weiter bringen als sein Vater. Er werde es bis ganz nach oben schaffen, wenn sie nur von ihm wegkämen. Eines schönen Tages werde er schon sehen. Leo Mulligan, ein einfacher Mann mit schlichten Werten, verlor den Glauben an seine Lebensaufgabe und die Hoffnung, dass sein Sohn das Erbe antreten würde, wie es in seiner Familie Tradition war.« Sie räusperte sich.
»Dann kommt ein Absatz mit der Überschrift ›Konsequenzen‹. Soll ich den auch vorlesen?«
»Nein, danke, nicht nötig. Jetzt bin ich schon viel schlauer. Aber Sie könnten mir vielleicht eine Adresse heraussuchen. Von einem gewissen Marvin Gallegos, Kameramann bei NBC4. Sie wissen doch, wie man das macht, oder?«
»Also, hören Sie mal, T.!« Im Hintergrund klingelte wieder das Telefon. »Soll ich immer noch nicht drangehen?«
»Erst die Adresse.«
Während sie suchte, sah T. sich um. Der Wald hier hatte etwas von einem Dschungel. Solange er denken konnte, hingen die riesigen Spinnennetze an denselben Stellen zwischen den Bäumen. Wie viele mochten sich an diese Strecke als das Letzte erinnern, was sie vom Leben draußen gesehen hatten? Hinter dem Wald begann der Sumpf, und dann war er auch schon fast am Ziel.
»Hören Sie, Chef?«
»Ja! Das ging aber schnell.«
»Wenn wir beide von demselben Marvin Gallegos sprechen, wird es schwer, mit ihm Kontakt aufzunehmen.«
Frustriert schlug T. aufs Lenkrad. »Was wollen Sie damit sagen? Sind Sie sicher, dass Sie den Richtigen haben?«
»Ich habe einen Polizeibericht gefunden. Marvin Gallegos, wohnhaft Neunte Straße 341, geboren am 16. 11. 1970. Von 1995 bis 2002 Fotograf und Kameramann beim ›National Geographic‹, seither Kameramann bei der NBC. Wird seit dem 26. März polizeilich gesucht, weil er Aufnahmen von Zusammenstößen des Militärs mit Milizen verbreitet hat.«
»Warum polizeilich gesucht!? Das ist doch sein Beruf.«
»Ich weiß nicht, Chef. Wahrscheinlich hat er etwas aufgenommen, von dem die Behörden nicht möchten, dass es an die Öffentlichkeit gelangt. Übergriffe auf Zivilisten. Folter oder Hinrichtungen ohne rechtskräftige Verurteilung, keine Ahnung. Die Soldaten sind zurzeit ziemlich heftig drauf.«
»Er wurde also angezeigt – und?«
»Es wird in allen Bundesstaaten nach ihm gefahndet. Vermutlich ist er untergetaucht oder hat das Land verlassen.«
»Oder er wurde gefangen genommen«, brummte T. Rechts der Straße tauchten hinter Wiesen und einem mit Gras bewachsenen Erdwall die Wachtürme und die gewaltigen Betonklötze von Sussex I auf.
»Sagen Sie, wissen Sie zufällig, wie dieser Kriminaltechniker aus Richmond heißt, der immer eine Pinzette hinterm Ohr hat? Rote Haare. Joe? John? Joseph? Irgendwas in der Art.«
»Kenne ich nicht. Wieso?«
»Weil ich sein Handy habe und gerne die Nummer dazu wüsste.«
»Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, Chef, oder?«
T. runzelte die Stirn. »Und warum nicht?«
»Ich sitze vor einem riesigen Display, das Sie selbst bestellt haben. Und auf dem Display steht groß und deutlich, wer von welcher Nummer anruft. Wir arbeiten bei der
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