Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
war.« Er fuhr sich mit der Hand durch sein dünnes Haar und wirkte erschöpft, so als habe er die ganze Nacht durchgearbeitet. Das war ihm durchaus zuzutrauen, fand Wesley. Er kannte nur wenige Menschen, die so wenig Schlaf brauchten wie Sunderland. Ein Arbeitstier, von dem keiner wusste, ob es für ihn überhaupt ein Privatleben gab.
Sunderland hatte inzwischen die Stelle gefunden, die er suchte. »Hier steht, dass mehrere Zeugen die Behauptung der Staatsanwaltschaft bestätigen, Bud Curtis habe Toby O’Neill immer wieder gegen den Präsidenten und seine Frau aufgehetzt.«
Donald Beglaubter schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, wieso Curtis ihm das Geld für den Mord per Überweisung zukommen lässt. Das hätte er doch nun wirklich etwas diskreter machen können. Wieso hat er ihn nicht in bar bezahlt? Hat doch Geld genug.«
Kommunikationschef Burton warf ihm einen rügenden Blick zu, dann räusperte er sich. »Wissen wir, ob Curtis womöglich ein Geständnis ablegen wird?«
Sunderland legte die Papiere ab. »Nein, und wieso sollte er auch? Er sitzt jetzt seit zwei Monaten in Untersuchungshaft, kann nicht auf Kaution freikommen und streitet weiterhin alles ab, wann immer jemand bereit ist, ihm zuzuhören. Erkennt das Gesetz, er kennt seine Rechte, und darum wird er bis zum bitteren Ende den Mund halten. Davon sollten wir jedenfalls ausgehen.«
Wesley sah zum Präsidenten. Dessen Blick war ruhig und aufmerksam, aber seine Augen leuchteten nicht mehr wie früher.
»Gut, dann lassen wir es für heute dabei bewenden.« Der Präsident drückte auf einen Knopf, und seine Sekretärin kam mit einem Stapel Unterlagen herein. »Wie ich Ihnen vor einer Woche mitteilte, arbeite ich seit geraumer Zeit an einem Entwurf für eine Reform der Rechtspraxis in unserem Land, und jetzt kann ich Ihnen diesen Entwurf vorlegen. Ich möchte Sie bitten, sich das sehr aufmerksam durchzulesen. In zwei Stunden treffen wir uns dann wieder hier.«
Sie sahen zu, wie die Sekretärin die Papiere an alle verteilte.
»Das heißt, Schulreform und Steuerdebatte sollen warten?«, fragte Kommunikationsassistent Donald Beglaubter und nahm sein Exemplar der dünnen Mappe mit dem roten »Vertraulich«-Stempel entgegen.
Bruce Jansen nickte. »Ja, das hier hat höchste Priorität.«
Fünf Minuten lang überflog Wesley den Vorschlag des Präsidenten, dann erhob er sich und schloss die Tür. Ihm war überhaupt nicht wohl. Sein Herz schlug schneller als gewöhnlich. Ihm war so warm geworden, dass er den obersten Hemdknopf öffnete und das Jackett auszog. Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch.
Was vor ihm lag, war nicht weniger als ein Vorschlag zur Einführung eines neuen Law-and-Order-Systems. So etwas hatte Wesley noch nie gesehen. Hatte Justizminister Stephen Lovell daran mitgewirkt? Eigentlich unvorstellbar.
Er atmete ein paar Mal tief durch. Bereits bei seiner Silvesteransprache hatte der Präsident etwas von »radikalenVeränderungen« gesagt. Diese Formulierung hatte nicht nur Wesley drastisch gefunden. Aber das hier übertraf seine schlimmsten Befürchtungen bei Weitem. Er hatte das Gras also nicht grundlos wachsen hören.
Wie alles, was von Jansen kam, war auch dieser Entwurf gut formuliert und direkt. Er trug ganz klar Jansens Handschrift – die eines klugen Mannes. In den ersten Sätzen beschrieb der Präsident kurz und präzise den Verfall der amerikanischen Gesellschaft. Er äußerte sich zu Gewalt, zu Übergriffen einzelner Krimineller und paramilitärischer Gruppen. Besonders negative Worte fand er für Waffenlobbyisten, und auf breiter Front kritisierte er Gerichte und Politiker. Auf den ersten Blick mochte einem das alles noch ganz nachvollziehbar erscheinen. Aber dann kam die Schlussfolgerung, die insgesamt vier der fünf Seiten einnahm. Da ging der Präsident über zu einem Frontalangriff auf eine ganze Reihe von Bürgerrechten, und die Vorschläge, die er unterbreitete, würden, wenn sie je an die Öffentlichkeit gelangten, garantiert zu seinem Sturz und dem Ende dieser Regierung führen.
Wesley spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Seit Jahrhunderten vermieden Regierungen derartige Gesetzesverschärfungen: Schnellere Hinrichtung von zum Tode Verurteilten, schärfere Restriktionen bei der Munitionsabgabe, eine gründliche Überarbeitung der Wahlgesetzgebung – das war nur die Spitze des Eisbergs. Die Umverteilung der Macht, die der Präsident vorschlug, war schlichtweg verfassungswidrig. Es fehlte nicht
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