Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
Stephen Lovell, der endlich etwas sagte. Er sah aus, als hätte sich der ärgste Schmerz nach einem Tritt in den Schritt gerade verzogen. Vor einer Woche war Lovell fünfundfünfzig geworden und auf der Party herumgesprungen wie ein junges Reh. In diesem Moment wirkte er eher, als stünde er am Rande des Grabes.
»Ein Scherz? Nein, Stephen, ganz bestimmt nicht.« Sunderland sah sich um. »Wenn unser Präsident einen so kontroversenVorschlag dazu macht, wie die Welle der Gewalt in diesem Land gestoppt werden kann, stecken höchstwahrscheinlich seine eigenen leidvollen Erfahrungen dahinter. Dessen sollten wir alle uns bewusst sein. Wir kannten Caroll und Mimi, und wir wissen, welch unermesslichen Verluste der Präsident erlitten hat. Stephen, Sie waren in der Wahlnacht doch selbst dabei.
Dieser Präsident hat einen erdrutschartigen Sieg errungen, und das sicher auch deshalb, weil er ohne Umschweife direkt auf den Kern eines Problems zugeht. Wir alle wissen, dass es in diesem Land schon immer Menschen gegeben hat, die sich eingehend mit unserer Waffengesetzgebung und dem Problem der Kriminalität befasst haben. Und zwar aus der Hoffnung heraus, etwas möge sich ändern. Aber ist in den letzten einhundert Jahren in dieser Hinsicht etwas Bahnbrechendes geschehen? Ist es inzwischen so, dass die Menschen sich ohne Gefahr für Leib und Leben auf den Straßen bewegen können, egal ob bei Tag und bei Nacht? Wir alle kennen die Antwort. Nein, nichts ist geschehen!«
»Doch, natürlich, man muss nur etwas genauer hinsehen.« Lance Burton standen Schock und Verbitterung ins Gesicht geschrieben.
Sunderland ignorierte den Kommentar. »Also. Wer will anfangen? Wesley? Sie sind der Jüngste von uns und repräsentieren damit die Zukunft und die Mehrzahl der Wähler. Da müssen wir alten Krieger doch zuhören.« Wieder versuchte Sunderland zu lächeln, aber ihm gelang nur eine Grimasse.
Wesley ballte die Fäuste. Jetzt musste er Farbe bekennen. Vor der gesamten Runde! Am liebsten hätte er die Papiere zusammengerafft und zerknüllt, um sie in die nächste Papiertonne zu werfen. Um dann Türen knallend abzuhauen, nach St. Croix. Dort fände sich bestimmt ein netter Job für ihn, Chef des Tourismusbüros oder etwas in der Art. Wie sonst sollte ersich angesichts dieses faschistoiden, die Verfassung und die Grundrechte der Bürger ignorierenden Pamphlets verhalten? Besser das Schiff verlassen, bevor es sank.
Langsam öffnete Wesley die Fäuste wieder und sah sich um. Ehrenwerte Männer und Frauen, die ihr Leben lang geschuftet und ihre Familie versorgt hatten. Männer und Frauen, die in diesem Moment vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben mit Furcht in die eigene Zukunft blickten. Denn in diesem Moment wurde ihre Loyalität auf eine harte Probe gestellt. Sie mussten sich entscheiden: Entweder stimmten sie den Vorschlägen zu und spielten so lange mit, bis die komplette Regierung durch ein demütigendes Gerichtsurteil abgesetzt würde – oder sie warfen den Job jetzt hin und öffneten damit Tür und Tor für Spekulationen, Skandale und Ungewissheit. Wesley verstand sehr gut, warum alle so gepeinigt aussahen.
Er schüttelte den Kopf, dann atmete er noch mal tief durch. »Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass ich morgen oder übermorgen oder irgendwann einmal anders über diese Vorlage denken werde. Und ich hatte bereits mehrere Wochen Zeit, um darüber nachzudenken. Die Beweggründe des Präsidenten sehe ich und verstehe sie, trotzdem habe ich meine Meinung nicht geändert. Die Vorlage ist in meinen Augen irrational, unrealistisch und politisch nicht durchsetzbar. Eine Frage ist, ob man dem Kongress überhaupt einen Vorschlag zur Beschneidung des Grundrechts auf Selbstverteidigung mit Waffen vorlegen und ungeschoren davonkommen kann. Ich bezweifle das. Eine andere Frage ist, ob man eine dermaßen radikale Wende in der Medienpolitik, der Sozialpolitik und in der üblichen Rechtspraxis politisch überleben kann. In dieser Vorlage wimmelt es von Vorschlägen, die wir niemals durchsetzen können. Ganz zu schweigen von den Methoden, mit denen das Parlament umgangen werden soll. Ich könnte es jedenfalls nicht verantworten, dieses Programm der Öffentlichkeit zu präsentieren.«
»Dann werden Sie sich einen anderen Job suchen müssen, Wesley«, sagte Sunderland.
Er drohte ihm? Das überraschte Wesley nicht. Aber hatte Sunderland nicht gerade etwas von einer freien Aussprache ohne Konsequenzen gesagt?
Sunderland bemerkte
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