Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
einmal ein sehr konkreter Hinweis, wie man all diese Veränderungen unter Berücksichtigung der derzeitigen parlamentarischen Situation steuern und beschleunigen könnte.
Wesley sah zum Papierkorb. Genau da gehörte dieses Machwerk hin. Wie um alles in der Welt hatte Bruce Jansen so etwas zu Papier bringen können? Jansen war stets ein ungeheuer feinfühliger Politiker und Taktiker gewesen, der sich in politischen Angelegenheiten so gut wie nie zu Spontaneitäthinreißen ließ. Das letzte Attentat aber hatte ihn offenbar vollkommen aus der Bahn geworfen. Glaubte Jansen wirklich, er könne die Welt mit einem solchen Erlass grundlegend verändern?
Wesley vergrub den Kopf in seinen Händen und dachte nach. Wie sollten sie auf dieses Papier reagieren? Sie konnten dem Präsidenten unmöglich empfehlen, es einfach zu vergessen. Aber es durfte auf gar keinen Fall dem Justizminister oder dem Kongress vorgelegt werden.
Allmächtiger, dachte er. Wenn Vizepräsident Lerner Wind von der Sache bekam, würde im Weißen Haus sofort ein Machtkampf losbrechen. Das hatte noch kein US-Präsident unbeschadet überstanden. Genau das war es, was sie Jansen sagen mussten, ganz gleich, wie zutiefst verletzt er war und wie recht er mit einigen seiner Beobachtungen haben mochte, die seinen Vorschlägen zugrunde lagen.
Um sich wenigstens kurz abzulenken, zog Wesley eine Schreibtischschublade nach der anderen auf – irgendwo musste sich doch etwas zu essen finden lassen. Schokolade, Kekse, irgendwas.
Dann klingelte das Telefon. Die Sekretärin des Präsidenten teilte mit, die Besprechung sei verschoben. Ein junger Mann sei in einer Schule gleich außerhalb Washingtons Amok gelaufen, vier Kinder waren tot und mehrere schwer verletzt, vom Täter keine Spur. Der Präsident habe beschlossen, zum Ort des Geschehens zu eilen und dort eine Fernsehansprache zu halten.
Wesley senkte den Blick auf das vertrauliche Papier, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag, dann schloss er die Augen. Eine bessere Bestätigung für seine wahnwitzigen Pläne hätte Jansen kaum bekommen können.
5
Eines der ermordeten Kinder war der Sohn des zweiten Vorsitzenden der Republikaner im Repräsentantenhaus. Zwei andere Kinder stammten aus den reichsten Familien des Landes. Jeder, der im Umfeld des Präsidenten arbeitete, war über höchstens zwei Ecken mit den Eltern der Opfer bekannt.
In der Stadt kam es an mehreren Orten zu spontanen Trauerprozessionen und alle Flaggen des Landes wehten auf Halbmast. Sogar der Dachmörder in New York unterbrach seine Aktivität für einige Tage.
Das war ein Vorfall, der keinen kaltließ.
Nach dem Attentat vergingen einige Wochen, ohne dass das Law-and-Order-Programm im Stab auch nur angesprochen wurde. Jeder hatte genug mit seinen eigenen Angelegenheiten zu tun, und auch im Oval Office herrschte emsige Geschäftigkeit. Waffenlobbyisten und ihre Gegner gaben sich die Klinke in die Hand. Was Jansen mit diesen Menschen erörtert hatte, wurde bei den morgendlichen Besprechungen nicht referiert.
Der Prozess um Bud Curtis nahm währenddessen ohne Überraschungen seinen Lauf, und Wesley begann zu glauben, nun könne er aufatmen. Jansen hatte sich offenbar eines Besseren besonnen – Gott sei Dank. Der Präsident hatte sich entschieden, den üblichen, den parlamentarischen Weg zu beschreiten. Wie es sich gehörte.
Aber Donald Beglaubter machte ein ernstes Gesicht, als Wesley ihm von seinem Eindruck erzählte. »Tut mir leid, aber das glaube ich nicht«, sagte er. »Warte es nur ab.«
Donald behielt recht. Nur wenige Tage, nachdem der Prozessgegen Bud Curtis in Rekordzeit durchgezogen und der Verurteilte ins Staatsgefängnis in Waverly überführt worden war, bat Präsident Jansens Sekretärin den Stab zu einem Treffen im Kabinett. Sie sollten dazu ihre Aufzeichnungen zum Law-and-Order-Programm mitbringen, das sie genau einen Monat zuvor erhalten hatten.
Mein Gott, dachte Wesley. Waren die Regierungsmitglieder etwa ohne Wissen des Stabs informiert worden? Und sollten sie sich ernsthaft weiter mit diesem Programm beschäftigen?
Den Raum erhellte frühlingshaftes Licht, doch die Stimmung war düster. Verteidigungsminister Henderson, Justizminister Lovell und der Minister für Innere Sicherheit hatten sich jeweils auf ihren angestammten Platz am Konferenztisch gesetzt. Jeder Einzelne von ihnen hatte das Jansen-Programm vor sich auf dem Tisch liegen, und alle wirkten gequält.
Wesley nickte in die Runde und nahm beim Fenster Platz,
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