Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
gefunden, und Wesley hatte ihn und Senator Jansen oft hinter verschlossener Tür streiten hören. Sunderland war häufig sehr blass, wenn er aus diesen Besprechungen kam, aber er verlor nie ein Wort darüber. Man wusste, dass es einen Konflikt gab, aber nicht, worum es dabei ging.
Bei der Antrittsrede des Präsidenten erwachte Wesleys Misstrauen. Er selbst hatte die Rede verfasst. Doch Jansen hielt sich nicht an die Vorlage, sondern improvisierte, und seine Änderungen verliehen der Rede einen neuen, unheilschwangerenTon. Wesley war ganz mulmig geworden, als er hörte, wie Jansen sich immer mehr von dem entfernte, was sie über mehrere Tage und Nächte so sorgfältig ausgearbeitet hatten. Irgendetwas lag in der Luft, und Wesley beschlich das Gefühl, gar nicht mehr genau einschätzen zu können, wo Jansen eigentlich stand. Und wofür.
Wesley vermutete, dass es nur ihm so ging, denn der Rest der Welt schien die Rede mit Begeisterung aufgenommen zu haben. Die meisten Zeitungen hatten Jansen den größten Respekt dafür gezollt, wie besonnen und ruhig er sein Amt angetreten habe. Zwar war Jansen seit dem Mord an seiner Frau und seinem ungeborenen Kind sichtbar gealtert, aber der Mann, der da vor der ganzen Welt seinen Eid ablegte, war zweifelsohne einer, der die Dinge im Griff hatte. Das musste Wesley ihm lassen, auch wenn Jansen auf einmal Worte benutzte, die Wesley von ihm noch nicht gehört hatte. Begriffe wie »Sicherheit« und »Wachsamkeit«, wie »Stärkung des Rechtsstaats«, »Kampf« und »Kompromisslosigkeit« hatten bisher nicht zum Vokabular des Präsidenten gehört. Da war ein verbitterter, unberechenbarer Unterton in dieser Antrittsrede gewesen. Allerdings konnte Wesley seinen Eindruck nicht genauer fassen, obwohl er sich die Rede noch mehrere Male anhörte.
Später erfuhr er, dass dieser Unterton durchaus auch Journalisten und anderen Mitarbeitern des Stabs aufgefallen war. Ihm Gegensatz zu ihm sahen die anderen darin aber anscheinend keinen Grund zur Beunruhigung, und darum hatte Wesley beschlossen, sich bedeckt zu halten.
Erst in letzter Zeit fiel es so gut wie allen auf: Bruce Jansen hatte sich verändert. Inzwischen hatte Wesley mehrmals versucht, mit Stabschef Thomas Sunderland über Jansens Stimmungsschwankungen zu reden und über die Hasstiraden, mit denen der Präsident im kleinen Kreis immer häufiger die Behörden und das Rechtssystem des Landes bedachte. Sunderlandhatte abgewiegelt. Das sei doch kein Wunder, nach allem, was der Präsident habe durchmachen müssen. Er bat Wesley, dem Präsidenten Zeit zu lassen. Auch gestandene Männer wie Jansen hatten Schwächen, und wenn er diese nicht einmal gegenüber seinen engsten Mitarbeitern zeigen durfte, wem gegenüber denn dann?
Der anstehende Prozess gegen Bud Curtis stellte eine weitere große Belastung für den Präsidenten dar. Warum sollte es ihm anders gehen als anderen Menschen, die einen geliebten Angehörigen durch Mord verloren hatten? »Der Präsident ist schwer gezeichnet, ein Opfer. Aber die Zeit wird alle Wunden heilen«, sagte Sunderland, und Wesley beschloss, Ruhe zu bewahren. Was konnte er auch sonst tun?
Und nun sollte der Prozess gegen Bud Curtis in wenigen Tagen beginnen. Der Präsident war nicht der Einzige, dem die Situation zu schaffen machte. Auch für Doggie war es eine schwere Zeit, das war nur zu deutlich. Wesley hatte sie seit ihrem Dienstantritt im Weißen Haus kein einziges Mal lächeln sehen. Tag für Tag hatte sie sich in ihrem kleinen, fensterlosen Büro verkrochen und kaum ein Wort gesagt. Wesley fürchtete, dass es ihr im Laufe des Prozesses noch schlechter gehen würde, und beschloss deshalb, ein Auge auf sie zu haben.
Das war nicht völlig uneigennützig, denn Doggie war nicht nur eine gute Kameradin und Kollegin, sondern auch mit Abstand die hübscheste und interessanteste weibliche Mitarbeiterin im Westflügel. Wesley hatte inzwischen mehr als einmal ernsthaft erwogen, Nägel mit Köpfen zu machen. Und bei ihr – das hatte er schon immer gewusst – ging es ihm nicht um eine Affäre. Er war jetzt sechsunddreißig und genoss den unverbindlichen Sex mit seinen diversen Frauenbekanntschaften sehr, hatte aber das Gefühl, es sei langsam Zeit, die Mutter seiner Kinder zu finden. Und dafür wäre Doggie eigentlich perfekt gewesen: intelligent, gut aussehend und reich.
Leider hatte die Sache jetzt einen Haken: Wenn ihr Vaterwegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde, wäre Doggies familiärer Hintergrund für
Weitere Kostenlose Bücher