Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
ein würdiger Pressesprecher zu sein.
Am Silvesterabend hatte es geschneit. Wesley und der zukünftige Stab trafen sich auf Jansens Landsitz in Onancock, um gemeinsam in die kommenden vier Jahre hineinzufeiern. Jansens Reichtum überraschte viele, auch Wesley. Zwar wussten die meisten, dass die Drogeriekette des Jansen-Clans zu den fünfundzwanzig umsatzstärksten Unternehmen des Landes gehörte, doch sie hatten keine Vorstellung davon gehabt, was das für die Lebensgestaltung bedeutete. Sie fuhren zunächst durch einen Kiefernwald. Als die Bäume den Blick auf fünfzehn riesige Pagoden aus blank polierten Mahagonistämmen freigaben, verschlug es allen die Sprache. Wesley dankte Gott für seine Intuition: Zum Glück hatte er für den Abend nur eine handverlesene Gruppe seriöser Journalisten eingeladen. Wozu Neid schüren? Die Boulevardpresse konnte sich andernorts tummeln. Den Wählern, deren Alltag aus harter Arbeit und Schlägereien in den Wagon-Towns von Maryland oder Georgia bestand, musste man das hier nicht auf die Nase binden.
Jansen empfing sie mit dunklen Ringen unter den Augen, umarmte aber jeden Einzelnen zur Begrüßung. Wesley stand in der Schlange gleich hinter Donald Beglaubter, der seinenfeinsten Zwirn trug und den Arm um eine kühle Blonde gelegt hatte, die Gerüchten zufolge überlegte, seinen Heiratsantrag anzunehmen.
»Mach dich nicht verrückt, Schatz«, flüsterte Donald seiner Begleiterin zu. »Bruce Jansen ist ein total sympathischer Mann. Und sehr umgänglich.«
Wesley sah sich um und war gerührt. Hier waren alle versammelt, die mit vereinten Kräften den langen Wahlkampf geführt hatten, sie, die mehr als alle anderen an Jansens Visionen glaubten. Die Wahlkampfhelfer aus den einzelnen Wahlkreisen, die Fundraiser, die Lobbyisten und die Büroangestellten. Lance Burton, Thomas Sunderland und alle anderen, die fast das ganze letzte Jahr im Wahlkampfbus verbracht hatten, weil sie fest an ein besseres Amerika glaubten und daran, dass es höchste Zeit für einen Wechsel war. Sie alle waren gekommen – außer Doggie. Seit dem Attentat hatte Wesley sie nicht mehr gesehen. Er hatte gehört, es gehe ihr schlecht. Donald hatte ihm erzählt, dass sie eine Anstellung im Weißen Haus bekommen werde. Das sei er ihr für ihren unermüdlichen Einsatz im Wahlkampf schuldig, habe Jansen gemeint. Doch er hatte es nicht über sich gebracht, sie zu diesem Fest einzuladen. Das wäre dann doch zu viel der Nähe für ihn gewesen.
Jansen schien den Rummel und die viele Aufmerksamkeit insgesamt ganz gut überstanden zu haben. Doch Wesley sah ihm an, dass er litt. Fast den gesamten Abend saß der Senator in einer Ecke des Salons. Einige der anwesenden Frauen hätten wahrscheinlich nichts dagegen gehabt, ihn zu trösten, andere machten einen Bogen um ihn. Es war von einer Art »Fluch der Kennedys« die Rede, der die Frauen an Jansens Seite treffe – und wer wollte schon das dritte Opfer werden? Die Intelligenteren wohl kaum. Zu ihnen gehörte Wesleys Begleiterin nicht; es war ihr anzumerken, dass sie Wesleys Gesellschaft gerne gegen die des künftigen Präsidenten eingetauscht hätte.Wesley beschloss, sich gleich am folgenden Tag von ihr zu trennen.
Kurz nach Mitternacht stieß Jansen mit der ganzen Truppe auf das neue Jahr und die kommende Regierung an und versprach, dass das Land unter seiner Führung große und radikale Veränderungen erleben werde. Wesley entging nicht, dass einige von Jansens engsten Mitarbeitern bei dem Wort »radikal« die Augenbrauen hoben, aber er selbst fand es in Ordnung. Einflussreiche Pressevertreter waren anwesend, es konnte nicht schaden, ihnen zu zeigen, dass Jansen Biss hatte. Nein, »radikal« war ein gutes Wort. Kam nur darauf an, in welchen Kontext man es stellte.
Nach seiner Ansprache bat Jansen die Gäste, weiter zu feiern und sich zu amüsieren und keine Rücksicht darauf zu nehmen, dass er sich zurückziehen werde. Er verabschiedete sich von zwei der Frauen, die in seiner Nähe standen, und marschierte an Wesley vorbei, ohne ihn zu bemerken. Kein Zweifel, dachte Wesley, auf den Mann musste man gut aufpassen, wenn er je wieder ganz der Alte werden sollte.
In den folgenden drei Wochen hatten sie hart gearbeitet. Am 20. Januar sollte Jansen als der vierundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt werden. Bis dahin gab es noch viel zu regeln. Längst nicht alle Ministeranwärter hatten vor dem unerbittlichen Blick des Stabschefs Sunderland Gnade
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