Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
Vertraulichkeit‹, hatte Sunderland gesagt. Wusste er denn, ob seine Telefonleitung sicher war?
Verflucht, dachte er. Klopfte die Paranoia wirklich jetzt schon an?
Um fünf Uhr stand Wesley auf, rief seinen Fahrer und ließ die Frau nach Hause bringen. Er zog Joggingsachen an und trabte im Dunkeln den langen Weg am Vietnam Veterans Memorial und den endlosen Reihen von Namen auf schwarzem Granit vorbei. Als er schließlich bei der angestrahlten marmornen Figur Lincolns angekommen war, las er zum Gott weiß wievielten Mal die Inschrift mit der Gettysburg-Rede. »Die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk«. Das war verdammt gut.
Er legte den Kopf in den Nacken und starrte in Abraham Lincolns melancholisches Gesicht. »Du weißt genau, was passieren wird, oder?«, flüsterte er. »Das wird schiefgehen.«
Da hörte er ein Knacken wie von einem Zweig und gleich darauf im Gebüsch hinter sich ein Zischen. Er drehte sich ruckartig um und hatte kurz das Gefühl, beobachtet zu werden. Die kahlen grauen Sträucher bewegten sich. Panik ergriff ihn. Hatte man ihm nicht eingebläut, dass er nie nachts allein durch Washington laufen dürfe? Dass man zu Hause bleiben müsse, bis es hell geworden war? Er sah in Richtung des Washington-Denkmals, dort waren bereits einige Menschen unterwegs. Zufrieden stellte er fest, dass einer oder zwei davon Uniform trugen.
Wesley trat auf den Kies, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief die nebelfeuchte Luft ein, die vom Flussherüberwehte. Hinter ihm schrien die Möwen. Wie wunderbar frisch, wie friedvoll. Bald schon würde es wieder ganz hell sein.
Als Wesley ins Büro kam, erwartete ihn auf dem Computer die Nachricht, das Treffen würde im selben Raum wie am Vortag stattfinden. Er sah flüchtig die Post durch, sortierte die Zeitungsausschnitte des Tages, diktierte seiner Sekretärin zwei kurze Pressemitteilungen. Dann rückte er die Krawatte zurecht und machte sich auf den schweren Weg zum Kabinett, darauf vorbereitet, wenn nötig, seinen Job zu kündigen.
Er betrat den Raum, und der Präsident stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. Auch wenn Bruce Jansen freundlich lächelte, war vollkommen klar, dass er in Wesleys Gesicht wie in einem offenen Buch lesen konnte. Wesley schlug die Augen nieder.
»Das wird schon, Kumpel«, sagte der Präsident und drückte seinen Arm. Danach ging er zur Tür und hieß die Hereinkommenden auf dieselbe Weise willkommen.
Fünf Minuten später schlossen schwarz gekleidete Sicherheitsbeamte die Tür. Justizminister Stephen Lovell war als einziger Teilnehmer der gestrigen Sitzung nicht erschienen. Gleich werden sie sagen, er sei zurückgetreten, dachte Wesley. Bis zum Ende der Sitzung würde es sicher noch mehr Rücktritte geben.
Er sah sich um. Trotz ihrer todernsten Mienen wirkten die anderen seltsam gelassen, so als wüssten sie etwas, worüber er nicht informiert war. Wollten sie mit kollektivem Rücktritt drohen? Ohne ihn einbezogen zu haben? Vertrauten sie ihm nicht?
Er sah sich noch einmal um. Sie alle hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera. Stimmten sie gegen den Präsidenten, waren sie draußen, und hatten sie über Nacht ihre Meinung geändert, wie kürzlich Sunderland, würden sie bald das ganzeLand gegen sich haben. Sie alle hatten gute Gründe, sich Sorgen um ihre Zukunft zu machen, und eine Nacht konnte mit einem Menschen viel anstellen. Die Angst konnte wachsen, aber auch frische, neue Gesichtspunkte oder massive Zweifel konnten auftauchen. Wesley hatte in der Nacht zwar Angst gehabt, aber seine Haltung hatte sich nicht geändert. Für ihn war Jansens Vorschlag eine Horrorvision.
Da stand der Präsident auf und lehnte sich über den gewaltigen Konferenztisch. Er wirkte abgeklärt und sah so gut aus wie schon lange nicht mehr. Jansen machte den Eindruck eines Mannes, der gründlich aufgeräumt hat.
»Der Justizminister verspätet sich«, sagte er einleitend. »Wir wissen noch nicht, warum, aber meine Sekretärin sagte, seine Frau sei am Telefon sehr aufgeregt gewesen. Wir werden später mehr erfahren. Bis dahin sollten wir anfangen.«
Lächelnd richtete er sich auf. »Ich merke schon, Sie sind nicht für Zuckerbrot zu haben. Sonst hätten Sie doch sicher schon den leckeren Kuchen aus der Kantine probiert. Hier, dänischer Plunder, gibt’s was Besseres?« Er nahm sich ein Stück und biss hinein. »Na, dann wollen wir mal«, murmelte er, wischte sich den Zucker aus den Mundwinkeln und setzte an.
»Ich bin
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