Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
des Seidenmarkts war geradezu überwältigend. Mindestens hundert winzige hölzerne Verkaufsstände waren mit fast vollkommen gleich gekleideten Händlern besetzt, die der Reisegruppe neugierig hinterherstarrten.
Dabei war es auf dem Markt erstaunlich still. Auch die wenigen Einheimischen, die der Gesellschaft wie Hunde folgten, deren nächste Bewegungen unvorhersehbar sind, schwiegen. Niemand rief ihnen etwas zu, niemand bedrängte sie.
»Wahnsinn, wie diszipliniert die hier sind. Ihr solltet mal sehen, wie man in Hongkong oder Taipeh hin und her geschoben wird«, flüsterte John Bugatti an Doggies Seite. »Aber das wird sich in ein paar Jahren ändern. Auch hier.«
Sie nickte und ließ den Blick über die vollen Tische mit Stoffen schweifen. Da fiel ihr ein Seidentuch auf, das ihrer Mutter gut gefallen würde.
»Was das wohl kostet? Was steht da?«, fragte sie Bugatti und deutete auf ein Schild mit chinesischen Schriftzeichen.
Caroll Jansen war hinter sie getreten und hatte Doggie die Hände auf die Schultern gelegt. »Ja, das würde dir toll stehen!« Lächelnd nahm sie ihre Geldbörse und reichte dem Verkäufer zwei Scheine. Dass er nicht zurücklächelte, als er das Tuch einpackte und ihr über die Theke reichte, schien sie nicht zu bemerken.
»Schau mal, Doggie!«, rief Gouverneur Jansen, der vor einem Heer großer und kleiner chinesischer Figuren aus unbestimmbarem Material stand. »Die bedeuten Glück! Ich möchte dir zu gern eine schenken.«
Wenige Minuten später gingen sie weiter, Doggie mit einem neuen Schultertuch und einer kleinen, schweren Buddhafigur in den Händen. Sie war stolz und glücklich. Gouverneur Jansen hatte ihr feierlich versichert, diese kleine Figur symbolisiere ein Band ewiger Freundschaft zwischen ihnen. Unglaublich!
Doggie zog die Schultern hoch und atmete die kühle Luft tief ein. Rings um sie war alles so wundervoll. Die Reisegesellschaft, die kahlen exotischen Bäume und die Menschen. Sie lächelte die Arbeiter an, die an der Bordsteinkante saßen und mit Essstäbchen dampfende Nudeln und Gemüse aus kleinen Schalen verzehrten.
Unmittelbar vor ihr ging Wesley Barefoot mit einem so breiten Lächeln, dass man es beinahe von hinten sehen konnte. Er drehte den Kopf in alle Richtungen, eine billige, gerade gekaufte Kamera im Anschlag. Neben ihm schritt T. Perkins, hellwach seine Umgebung beobachtend, beladen mit zwei Tüten voller Spielzeug für Nichten und Neffen. Ganz vorn ging Gouverneur Jansen, der alle anderen überragte, in bester Laune, seine Frau hatte sich bei ihm untergehakt. Als einer der Funktionäre ihnen aus dem geöffneten Tor des Konsulats entgegenkam, winkte er ihm zu.
Doggie sah an dem Gebäude hinauf. Wie erwartet, war es kleiner als die eigentliche Botschaft an der Xiushui Bei jie, wo sie vor ein paar Tagen zu einem großartigen Willkommensdinner eingeladen gewesen waren. Trotzdem wirkte das Konsulat im Sonnenschein mit der im Wind flatternden amerikanischen Fahne und der uniformierten chinesischen Schildwache auf der Plattform vor dem Gittertor bombastisch.
Doggie sah über die Schulter zurück in die enge Marktgasse. Was für ein Unterschied zwischen diesem westlich geschmückten Gebäude und den zusammengeschusterten Verkaufsständen dort auf dem Seidenmarkt.
Etwas weiter vorn warf ein Verkäufer eines seiner vielen papiernenFabeltiere in die Luft, und alle verfolgten gebannt die anmutigen, züngelnden Bewegungen des Drachen.
Da passierte es.
Caroll Jansen schrie auf und riss die Arme zur Seite. Sie wollte ihre Tasche einfach nicht loslassen. Doggie drehte sich blitzschnell um und im selben Augenblick verstummte Caroll und sank in sich zusammen. Blut spritzte ihr aus dem Hals und traf ihren Mann, und gleichzeitig spurtete Thomas Sunderland, Jansens Berater, los, um den jungen Chinesen zu ergreifen, der mit dem Messer zugestochen hatte. Sheriff T. Perkins ließ die Tüten mit den Einkäufen fallen, Gummibälle und Plastikfigürchen rollten über den betonierten Boden vor dem Konsulat. Mit einem Satz, den man ihm nicht zugetraut hätte, schnitt er dem Attentäter den Weg ab. Doggie sah das blutige Messer noch einmal aufblitzen. Noch viele Jahre später würde sie diese entsetzlichen Bilder jederzeit abrufen können.
Gouverneur Jansen war auf die Knie gesunken, in seinem Arm der leblose Körper seiner Frau. Doggie sah, wie Menschen von allen Seiten kamen und versuchten, ihnen zu helfen.
Sie sah das alles, und ihre Lippen bebten. Sah, wie Rosalie Lee
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