Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
nach vorn getreten, daher konnte die Kugel auch dem Präsidenten gegolten haben. Kurz bevor sich alle im Hotelflur versammelten, habte er zudem ein Gespräch zwischen Bud Curtis und Toby O’Neill mitgehört, das diese über die Sprechanlage führten. Besonders aufgefallen seien ihm Bud Curtis’ letzte Sätze: »Du hältst deinen Mund, Toby. Du tust nur, was du zu tun hast!« Bei seiner Festnahme habe Bud Curtis ihm ins Gesicht gespuckt und geknurrt, die Demokratensau habe bekommen, was sie verdiente.
Doggies Vater war aufgesprungen und hatte lautstark protestiert, aber es nützte nichts. Man sah den Geschworenen an, wem ihre Sympathien galten.
Am Ende war Mortimer Deloitte ganz in seinem Element. Die Jury brauchte nur vier Stunden, um zu einem einstimmigenErgebnis zu kommen. Die Jurymitglieder bezweifelten nicht im Geringsten, dass der Angeklagte der Drahtzieher des Mordes war. Nur mussten sie in der Frage zu einem Schluss gelangen, inwiefern Curtis geplant hatte, sowohl den Präsidenten als auch dessen Frau umzubringen. Gerüchten zufolge fand einer der Geschworenen es seltsam, dass Bud Curtis bezüglich der Fingerabdrücke auf den Patronen so nachlässig gewesen war und dass er O’Neill das Geld für den Mord per Banküberweisung zukommen ließ, statt es ihm in bar zu geben. Er fand das alles ein bisschen zu eindeutig. Aber so war das nun mal bei Mordprozessen. Mörder machten Fehler.
T. Perkins fuhr Doggie zum Westflügel des Weißen Hauses und begleitete sie bis zur Pforte, vorbei an der Menge johlender Journalisten. Die Kollegen begegneten Doggie mit gequälten Mienen. Es entging ihr nicht, dass die anderen nicht recht wussten, wie sie mit ihr umgehen sollten. Wesley Barefoot nahm sie kurz in den Arm, sagte aber nichts weiter. Ihr war extrem unwohl. Sie spürte die angespannte Atmosphäre, die seit zwei Tagen vom Oval Office ausging. Sie fragte Wesley, was los sei, konnte sich aber aufgrund seiner ausweichenden Antworten ausrechnen, dass die Spannungen mit dem Prozess zu tun hatten.
Wie jedes Mal, wenn sie Wesley sah, wurde Doggie unsagbar traurig. In ihren Augen waren sie fast schon ein Paar gewesen, und das Attentat hatte alles zunichtegemacht. Alles.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und sah sich um. Das fensterlose Büro, das man ihr zugeteilt hatte, war keine zehn Quadratmeter groß. Die Einrichtung stammte noch vom Vorgänger und war entsprechend abgenutzt, die Regale quollen von Fachbüchern über. Die Schreibtischoberfläche war zerkratzt, Papierstapel türmten sich, sämtliche Kabel und die Computertastatur waren klebrig und vergilbt. Keine der vor ihr liegenden Aufgaben war besonders bedeutungsvoll – sie befand sich in derHierarchie auf der zweituntersten Stufe, gleich über dem jungen Mann, der den Inhalt der Papierkörbe schredderte. Wenn nicht gerade der Mordprozess gegen ihren Vater gelaufen wäre, hätte wohl kaum jemand ihren Namen gekannt. Das einzig Persönliche in diesem trostlosen Zimmer stand schräg auf einem Stapel von Memos zu Wasserreservoiren und Brandschutz in öffentlichen Gebäuden: die kleine Buddhafigur, die ihr der Präsident in Peking geschenkt hatte. In einem anderen Leben.
Der Blick, mit dem Jansen ihr damals die Figur überreichte, hatte in ihr den Wunsch geweckt, immer in seiner Nähe zu sein. Dieser Blick hatte sie dazu veranlasst, sich als ehrenamtliche Mitarbeiterin für seinen Wahlkampf zu melden, als sie so weit war. Hätte es dieses Geschenk und diesen Blick nicht gegeben, wäre ihr Vater heute ein freier Mann und Mimi Todd Jansen noch am Leben. Das war die traurige Wahrheit.
Sie nahm die Figur und drückte sie an sich. Der Präsident hatte ihr seine Freundschaft und lebenslanges Glück versprochen, doch wo waren die Freundschaft und das Glück jetzt? Jetzt, wo sie beides am dringendsten nötig hatte? Hatte er auch nur eine Sekunde an sein Versprechen von damals gedacht? Nein. Nicht ein tröstendes Wort hatte er für sie übrig gehabt, nicht einen Blick.
Sie verspürte Lust, den kleinen Buddha zu Boden zu schmettern, besann sich aber, als zwei der Sekretärinnen an ihrer Tür vorbeikamen und mit kaum verhohlener Verachtung zu ihr herübersahen. Als Doggie ihrem Blick begegnete, wandten sie sich blitzschnell ab.
Warum nicht einfach aufgeben? T. Perkins anrufen und ihn bitten, sie abzuholen und nach Hause zu bringen. Nach Virginia. War doch ohnehin das, was sich alle hier wünschten. Dass sie freiwillig verschwand.
Ihre Hand lag bereits auf dem Hörer,
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