Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
Rockstar mit gewaltiger Mähne. Deshalb hatte er seinem Vater erklärt, er wolle Journalist werden. Natürlich war sein Vater schockiert, denn aus der kleinbürgerlichen Sicht des Provinzarztes bedeutete die Berufswahl und damit die Lebensplanung seines Sohns einen großen Schritt in die falsche Richtung. Doch er tröstete sich mit der Aussicht, dass sein Sohn einmal Redakteur bei der Tageszeitung der Stadt werden könne.
John hatte eigentlich einen Job als Freelancer bei der Zeitschrift ›Rolling Stone‹ im Sinn, die über alle Rockstars berichtete. Aber das gestattete sein Vater nicht. Wenn John die Unterstützung der Familie wollte, auch die finanzielle, dann musste er einen anderen Weg einschlagen.
Nach dem Studium und einigen Jahren bei unbedeutenden Blättern gelang es ihm, sich für die großen New Yorker Tageszeitungen zu qualifizieren. Damit war der Weg gebahnt für das Fernsehen. Die NBC heuerte ihn als Berichterstatter für Washington an. Mittlerweile hatten sich auch für ihn persönlich die Zeiten geändert, das Interesse an Popstars war verblasst. John hatte Erfahrungen gesammelt und Entscheidungen getroffen, die nicht mehr zum Profil einer Musikzeitschriftpassten. Dort, wo er sich nun bewegte, gab es mehr als genug höchst attraktive Männer, interessant für Frauen und Männer.
So hatte er gelebt, bis er Onkel Danny begegnet war, wie sein Liebster von Freunden genannt wurde. Danny war anders als die New Yorker Schwulen, mit denen John in den ersten Jahren zusammen gewesen war. Er sah nicht nur unerhört gut aus, sondern war, im Gegensatz zu John, auch ein nachdenklicher Mensch. Es war Dannys Einfluss zu verdanken, dass aus John mit den Jahren ein Journalist geworden war, dem die ethische Seite seines Berufs am Herzen lag, für den Wahrheit und Meinungsfreiheit an erster Stelle standen. Hätte er Danny nicht getroffen, hätten ihn die auf den Ausnahmezustand folgende Zensur der Presse und die hektische Schließung von Nachrichtenmedien vermutlich nicht so sehr berührt. Aber jetzt war er wütend. Wütend auf die Direktiven des Sicherheitsministeriums, zu denen sich die noch publizierende Presse nicht äußern durfte, wütend, weil mit jedem Tag weniger Zeitungen erschienen oder die Ausrüstung eines weiteren kleinen Radiosenders konfisziert wurde.
Niemand hatte für möglich gehalten, dass in diesem Land dermaßen finstere Zeiten anbrechen könnten. Wer noch die Kraft und die Courage aufbrachte, sich kritisch zur gegenwärtigen Situation zu äußern, dessen Existenz war bedroht, denn er konnte sicher sein, dass andere ihn denunzierten. Also schwiegen die meisten. Die wenigen Fernsehsender, die noch mit Billigung der Regierung senden durften – darunter John Bugattis Arbeitgeber –, waren zu täglichen Meetings mit strikter Selbstzensur genötigt. Das Gefühl der Ohnmacht setzte Bugatti zu und schürte seine Wut.
Im Cosi-Café am Metro-Center, wo man sich traf und jeder jeden kannte, hatte er an diesem Vormittag bei einer Tasse Kaffee versucht, die Stimmung auszuloten. Vor Präsident JansensAmtsantritt war dies der Ort gewesen, an dem Bugatti seine Tipps bekam. Kleine Bemerkungen, die man aufschnappte und zu denen jemand anders vielleicht noch mehr sagen konnte. Details, die ihm bewusst zugetragen wurden und die er anschließend nach Gutdünken zu einem Puzzle fügen konnte. Doch inzwischen bemühte man sich, miteinander zu reden, ohne etwas zu sagen. Die Angst, zu viel zu sagen, ging um, ja sogar die Angst davor, zu viel zu wissen. Selbst die Flucht Tom Jumpers aus Polizeigewahrsam wurde mit keinem Wort erwähnt.
In der Redaktion von NBC 4 an der Nebraska Avenue war die Stimmung ebenfalls im Keller. Tag für Tag sah Bugatti sich vor dieselben Aufgaben gestellt. Beim Blick in seinen Terminkalender traute er oft seinen Augen kaum. Wenn er, ihr wichtigster Washington-Experte, schon irgendwelche Frauen interviewen musste, dann doch bitte schön wenigstens Politikerfrauen. Was zum Teufel scherten ihn und die Zuschauer irgendwelche Angestellten, die im Convention Center in der 7th Avenue das Catering besorgten? Mit einem dicken roten Stift strich er diesen Termin durch. »Weg damit«, murmelte er. Als er aufblickte, stand die Redaktionschefin vor ihm. Blass, mit dunklen Ringen unter den Augen, nachlässig gekleidet. »Wir sollen alle zu Hopkins kommen«, sagte sie und bemühte sich zu lächeln.
Mit unguten Ahnungen versammelte sich die Gruppe der Journalisten und Redakteure im Büro des
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