Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
Chefredakteurs. Der legendäre Alastair Hopkins saß an seinem Schreibtisch, hinter sich eine getönte Panoramascheibe. Nach seiner verkniffenen Miene zu urteilen, behagte ihm das, was er gerade von den beiden ihn flankierenden Schwarzgekleideten hörte, gar nicht.
Hopkins kam wie gewohnt ohne Umschweife zur Sache: »Wir können von nun an nicht mehr live vom Ort des Geschehens senden. Ab sofort müssen alle eure Interviews aufgezeichnet werden. Entsprechend Executive Order 10995 müssenwir sämtliche Sendebeiträge diesen beiden Herren« – bei diesen Worten schnaubte er – »vor Ausstrahlung zur Durchsicht übergeben.« Um Ruhe bittend hob er die Hand. Aber Redakteure und Journalisten der wichtigsten Nachrichtensender des Landes waren nicht so weit gekommen, weil sie brav den Mund hielten. Alle redeten lautstark durcheinander, sodass die beiden Männer in Schwarz, die sie in Zukunft kontrollieren sollten, sich instinktiv ein paar Schritte zurückzogen. Ihnen schien plötzlich bewusst zu werden, dass die Stimmung kippen konnte.
Chefredakteur Hopkins sprang auf. »Verdammt, Leute, jetzt kommt mal wieder runter! Legt ihr es darauf an, dass der Fernsehsender komplett geschlossen wird? So wie ich das sehe, seid ihr alle binnen zehn Minuten arbeitslos, wenn ihr nicht tut, was sie sagen. Also bitte!«
Bugatti erreichte Wesley Barefoot in dessen Mittagspause. Es klickte in der Leitung, und John atmete tief durch. Abgehört zu werden gehörte inzwischen zur Tagesordnung. Daran hatte er sich gewöhnt, man musste eben darauf achten, was man sagte.
Bugatti räusperte sich. »Also echt, Wesley, was geht dort drüben bei euch eigentlich ab? Ich weiß, dass die Ämter in Ohio ein paar Anführer der Milizenkoalition gefasst haben und dass jemand behauptet, sie seien dabei umgekommen. Ist da was dran? Und wenn ja: Wer ist es? Wen muss ich fragen, Wesley? Wie soll ich meine Arbeit machen?«
Er wartete einen Moment, Wesley schien nachzudenken. »Jetzt hör mal zu, du bist der Pressesprecher des Weißen Hauses und machst dicht wie eine Auster, genau wie alle anderen. Aber so kann es doch nicht gehen, Wesley!« Einer plötzlichen Eingebung folgend, fuhr er fort: »Wenn du dir und Jansen und eurem Regierungsapparat etwas Gutes tun willst, dann weißt du doch genau, dass wir, ja, dass die ganze Nation unbedingt ein Interview mit dem Präsidenten braucht. Wir müssenerfahren, wie lange diese Zustände andauern sollen! Kannst du nicht dafür sorgen, dass ich einen Termin bei ihm bekomme, und zwar am liebsten in einer Stunde oder zwei, wenn sich das irgendwie machen lässt? In unserer Redaktion ist gerade etwas vorgefallen, wozu ich gern den Kommentar des Präsidenten hätte – nein, haben muss! Bekommst du das hin, Wesley?«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang sehr müde. »Tut mir wirklich sehr leid, John, aber das ist unmöglich. Du kannst selbstverständlich gern kommen und mit jemandem aus der Pressestelle sprechen, ich will zusehen, was ich tun kann. Ruf mich doch bitte in einer Stunde wieder an.«
Besser als nichts. Wesley wusste garantiert alles über neue Dimension der Pressezensur.
Siebzig Minuten später stand John Bugatti in der Pennsylvania Avenue vor der Straßensperre. Dort, vierhundert Meter vom Weißen Haus entfernt, war Schluss für jeden, der keine schriftliche Einladung oder einen der Chips vorzeigen konnte, die alle Angestellten des Weißen Hauses an der Brust tragen mussten. Die Stimmung war mehr als angespannt. John stand inmitten des Schilderwalds protestierender Bürger. Hier und da sah er bekannte Gesichter, Schauspieler, Schriftsteller, Fernsehleute.
Noch vor wenigen Monaten wäre dieses Bild unvorstellbar gewesen, eine billige Szenerie in einem Science-Fiction-Roman. Man war sicher gewesen, dass Amerika gegen dieses Unvorstellbare gut geschützt war, dass die Demokratie allem standhalten würde. Und wie leicht war sie nun binnen kürzester Zeit außer Kraft gesetzt worden. Seit dem Attentat auf den Justizminister und den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs hatte sich dieser Prozess enorm beschleunigt. Zunächst vermutete man, die Milizionäre aus Montana, die Weißkopfadler, stünden dahinter und alle hochrangigen Politiker und Beamten seien in Sicherheit gebracht worden. Aber als die Gruppedie Vorwürfe zurückwies und kurz darauf Bombendrohungen gegen den Kongress eingingen, fing man an, tiefer zu graben. Aus Gerüchten wurden Verschwörungstheorien, und auf einmal sahen sich viele
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