Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
Tode Verurteilten bei ihrer letzten Mahlzeit vor Augen. Wenn sie ihn ansprach, platzten ihre Worte wie Schüsse in seine Gedanken. Wenn sie seine Hand nahm und auf ihren schwangeren Leib legte, wurde er todtraurig. In den letzten Wochen hatte sich das Staatsgefängnis Sussex seines ganzen Wesens bemächtigt. Beim Gedanken, noch einen weiteren Tag dort sein zu müssen, wurde ihm elend zumute.
Nach dem Essen hatte er sich auf die Veranda gesetzt, um noch einmal alles zu durchdenken. Darleen war ihm mit einem Bier gefolgt – sie sehe doch, dass ihn etwas bedrücke. Er hatte sie zurückgewiesen, hatte erklärt, dass sie gar nicht wissen wolle, worüber er nachdenke. Aber sie hatte keine Ruhe gegeben, hatte ihm zugeredet, ihren weichen Körper an seinen geschmiegt. Bis er nachgab. Dann war alles aus ihm herausgesprudelt, und als er fertig war, ging es ihm merklich besser.
Zum ersten Mal hatte er Darleen vom Jammern und Stöhnen der zum Tode Verurteilten erzählt, sie wusste nun, wie es für ihren Mann war, die Todeskandidaten festzuzurren, und dass er wegsah, wenn sie starben. Sie wusste, was ihm durch den Kopf ging, wenn er nachts im Todestrakt neben der Wandstand und die Minuten zählte. Und sie wusste, dass Bud Curtis ihm für ein Handy sehr viel Geld geboten hatte.
Kaum hatte Petes Frau begriffen, welche Möglichkeiten sich ihnen durch diesen Reichtum eröffneten, fing sie an zu fantasieren. Die ganze Nacht hatte sie wach gelegen und sich vorgestellt, in welcher Reihenfolge ihre Wünsche erfüllt werden sollten. Sie hatte es so eilig gehabt mit ihren Träumen, dass sie nicht zur Arbeit gegangen war, sondern stattdessen am Küchentisch die Immobilienanzeigen studierte, derzeit stand ja alles zum Verkauf. Ihr war es egal, was die Frauen im Friseursalon wegen ihres Fernbleibens spekulieren würden: dass Darleen ganz sicher deshalb nicht kam, weil ihr Mann sie geschlagen hatte. Die meisten der Frauen, die sich in Lily Johnsons Salon frisieren ließen, waren auch mit Gefängnisangestellten verheiratet und wussten, wovon sie sprachen. Die Männer, die in Greensville und Sussex arbeiteten, waren missmutig und jähzornig. Auch Pete war schon manches Mal kurz davor gewesen, Darleen zu schlagen. Aber er hatte es nie getan.
Petes Mutter hatte ihn gewarnt: Darleen war nicht aus Waverly, und sie würde sich dort nie einleben. »Das ist der größte Fehler deines Lebens, mein Sohn«, hatte sie gesagt.
Darleen kam aus Claremont, einem winzigen Kaff am James River, sechzehn Meilen weiter östlich. Dort war sie in dem Irrglauben aufgewachsen, Claremont sei besser als alle anderen Orte in der Gegend, weshalb sie Waverly immer nur als Zwischenstation betrachtet hatte. In Waverly gab es viele Schwarze, in Darleens Heimatort keinen einzigen. Für Darleen war ein Schwarzer gleichbedeutend mit Problemen. In Claremont waren alle wie sie: weiß und gewöhnlich und egozentrisch. Seine Mutter hatte recht gehabt. Eine Frau wie sie konnte nicht in Waverly leben.
Und nun setzte Darleen ihn unter Druck. Mit dem vielen Geld würde alles gut werden.
Es war ein Fehler gewesen, Darleen davon zu erzählen. Aber tief in seiner Seele wusste Pete genau, dass er das Handy für Curtis beschaffen musste, wenn sich sein Leben zum Besseren entwickeln sollte. Damit konnte er nicht nur so reich werden, wie Darleen es sich erträumte, sondern so reich, dass er nicht mehr gezwungen war, die Zukunft mit ihr zu teilen. Das hatte er bereits für sich entschieden, und das war das Gute an der Angelegenheit. Darleen und dem Kind sollte es gewiss an nichts fehlen, aber das galt auch für ihn.
Pete wollte auf keinen Fall übers Ohr gehauen werden. Allerdings konnte Curtis ohne das Handy nicht an das Geld kommen. Deshalb musste Pete das Risiko eingehen und es ihm geben, aber er hatte Curtis mit Rache gedroht, falls er ihn betrog. Vieles konnte schiefgehen, zum Beispiel bei der Hinrichtung. Es konnte schmerzhaft werden. Das verstand Curtis doch wohl.
Je länger Pete darüber nachdachte, umso sicherer war er sich: Er würde Curtis das Handy besorgen. Nun war die Zeit um, und er musste Stellung beziehen und handeln, trotz des hohen Risikos. Er wollte das Telefon in seiner Thermoskanne verstecken und es Bud Curtis kurz vor dem Wachwechsel geben. Früher wäre es vollkommen unmöglich gewesen, ein Handy in den Todestrakt zu schmuggeln. Doch mittlerweile war enorm viel Personal eingespart worden und ein gewisser Schlendrian eingekehrt. Allerdings war es zwischenzeitlich
Weitere Kostenlose Bücher