Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
Hinrichtung war nicht die schlimmste. Er führte seine Aufgabe mechanisch aus, und anschließend erinnerte er sich an nichts. Die nächste dagegen war fürchterlich. Der Gefangene hatte angstvolle braune Augen, und die vom Drogenmissbrauch zerstochenen Adern versteckten sich hinter den angespannten Muskeln.
Seit Präsident Jansens Reform hatte er bereits an fünf Hinrichtungen mitgewirkt, und das waren fünf zu viel.
Er musste dort weg.
Weg von Sussex und Waverly und Darleen und den Erinnerungen an einen Vater, der nicht leben wollte.
Er klemmte sich die Thermoskanne unter den Arm und winkte einem der Gefängnisbeamten zu, der auf den Parkplatz einbog. Vor ihm lagen die grauen Bauten und schluckten das letzte Tageslicht.
20
Wenn jemand vor Überarbeitung ohnmächtig hätte umfallen dürfen, dann Sheriff T. Perkins. Und wenn jemand verschwitzte Männer in Uniform hasste, dann seine neue Kollegin, die junge Polizistin Dody Hall. Sie schaltete die Lüftung des Streifenwagens ein und drückte sich ganz dicht an die Tür. T. Perkins sah aus dem Fenster. Er wusste genau, was sie dachte, doch er schob schon die zweite Schicht hintereinander, da konnte sie nichts anderes erwarten.
»Was zum Teufel machen wir jetzt?«
Gute Frage. Er zuckte die Achseln. Durch die Straßensperre der Nationalgarde stauten sich seit letzter Woche auf der Gegenfahrbahn regelmäßig die Lastwagen. Sie transportierten so ziemlich alles, was die Supermärkte in Mustoe, Vanderpool und Monterey für die nächsten zwei Wochen dringend brauchten, doch das kümmerte die Soldaten offenbar wenig. Die Betreiber der Geschäfte bestürmten Sheriff T. Perkins, aber was sollte er tun? Er konnte nichts ausrichten, und so hatte er beschlossen, den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Perkins hatte nie Probleme mit den Menschen in seinem Bezirk gehabt. Aber langsam begriffen sie, dass es Wochen dauern würde, bis wieder mit regelmäßigen Lieferungen von Tiefkühlwaren und Konserven zu rechnen war – ganz zu schweigen von Hygieneartikeln wie Toilettenpapier und Ähnlichem. Allmählich schlugen sie einen anderen Ton an, und er hatte schon ein paar Mal beruhigend auf erregte Bürger einreden müssen. Immerhin hielten die Menschen in Highland County zusammen und halfen sich noch gegenseitig, so gut es ging.
Nicht nur die Versorgungslage war unübersichtlich. Selbstdie Auszahlung der Löhne und Gehälter war ungewiss, aber nach den bewaffneten Unruhen in Chicago und Miami wagte niemand zu streiken. Die Intention hinter den Reformen mochte ja löblich sein, dachte T., und derzeit wurden auch nicht so viele Überfälle zur Anzeige gebracht, aber die Bevölkerung war durch und durch verängstigt.
»Haben Sie gehört, was ich gesagt habe, T.?« Bei dem gereizten Ton von rechts zuckte er zusammen.
»Ja, habe ich.« Er nickte, legte den Rückwärtsgang ein und wendete so abrupt, dass Dody auf ihrem Sitz hin- und hergeschleudert wurde.
»Was machen Sie denn da?« Empört und erschrocken schlug sie nach ihm.
»Ich sehe zu, dass wir nach Hause und ins Bett kommen. Hier können wir ohnehin nichts machen.«
Sie sah ihn aus großen Augen an. Dann lachte sie. »Nach Hause und ins Bett. Darüber wird sich mein großer, vernachlässigter Jimmy sicher freuen.« Sie strahlte und warf einen Blick auf die Uhr.
T. Perkins nickte. Er war nur froh, dass er nicht die gleichen Pflichten zu erfüllen hatte wie der vernachlässigte Jimmy.
Als er zu Hause angekommen war, schaltete T. Perkins das Handy aus und schlief selig geschlagene zwei Stunden. Dann öffnete er die Augen, starrte an die Decke und war mit einem Schlag hellwach. Noch war es stockdunkel. Freitag, 27. März, 4.35 Uhr, meldete sein Wecker. Ja, 4.35 Uhr. Verdammt noch mal. Aber wie sollte er auch schlafen, wenn sein Kopf einfach keine Ruhe gab? Er kannte derzeit viel zu viele Menschen mit viel zu vielen Problemen. Das Schlimmste für ihn war die Sache mit dem örtlichen Bestattungsunternehmer Jim Wahlers, seinem alten Freund. Man hatte ihn wegen der Lagerung von Waffen und Munition für die Milizen festgesetzt. Das FBI hatte einen entsprechenden Hinweis bekommen und blitzschnellgehandelt. Jims Frau hatte T. beschimpft, weil sie von ihm wissen wollte, wohin man ihren Mann gebracht hatte, und T. es selbst nicht wusste. Das Büro des Sheriffs war per Fax lediglich informiert worden, Jim sitze in Isolationshaft, während seine Anklage vorbereitet werde. Aber sollte T. Perkins etwa Jims Frau erzählen, Hunderte anderer Frauen
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