Das Weihnachtshaus
Atem der kleinen Julia spürte, die mir ihr ganzes Vertrauen schenkte. Wie könnte eine Frau darauf verzichten, ein kleines Abbild von sich selbst großzuziehen, es tapfer zu beschützen, zu ernähren und sich an diesem Wunder zu freuen?
Meiner Schätzung nach war meine Mutter achtzehn gewesen, als ich geboren wurde. Vielleicht neunzehn. Ob sie Verwandte hatte, zu denen sie mich hätte schicken können, weiß ich nicht, sie hat nie welche erwähnt. Sollte sie erwogen haben, mich zur Adoption freizugeben, so hatte sie das mit sich selbst ausgemacht.
Sie hatte entschieden, dass wir beide zusammenblieben, und nun verstand ich auch, warum. Es war die Nähe. Es war die Möglichkeit, wunderbare Momente gemeinsam zu erleben. Meine Mutter hatte mich gewollt. Allein das war ein kostbares Geschenk.
Diese Wahrheit war das Geschenk, das ich an diesem Weihnachtsmorgen bekam. Meine Mutter hatte mich gewollt. Sie wollte mich nah bei ihrem Herzen. Und sie hat mich immer dort behalten.
In diesem Augenblick, an diesem Weihnachtsmorgen, während ich Julia fest in den Armen hielt, blickte ich aus dem mit Eisblumen bedeckten Fenster und sprach Eve Carson, die Schauspielerin, von all ihren Verfehlungen mir gegenüber frei. Dann dankte ich Eve Carson, der Mutter, für alles, was sie richtig gemacht hatte, indem sie bewies, wie sehr sie mich gewollt hatte.
Und ich fragte mich: Wenn sie noch leben würde und wenn ich sie gefragt hätte, wer mein Vater ist? Hätte sie mir dann die Wahrheit erzählt? Ich weiß, ich hätte lieber eine Notlüge gehört als die unabänderliche Wahrheit. Und trotzdem fragte ich mich: Was hätte sie dazu gesagt, dass ich hier war, in diesem Haus, bei diesen Menschen? Welche Einzelheiten über mein Leben hätte sie preisgegeben?
«Was ist mit dem Weihnachtsmann?» Julia hob den Arm und berührte meine Wange. «Und mit den Geschenken? Wir müssen nach den Geschenken schauen.»
Ich half ihr von meinem Schoß hinunter, und wir waren gerade dabei, die restlichen Stufen auf Zehenspitzen hinunterzugehen, als ich hörte, wie sich auf dem Flur über uns eine Tür öffnete.
«Wir müssen uns beeilen!», flüsterte Julia, die wegen unserer heimlichen Aktion wieder ganz aufgeregt war. Sie tapste in ihren gelben Hausschuhen die Stufen hinunter und griff dabei nach meiner Hand.
Ich folgte ihr erwartungsvoll.
Im schwachen Tageslicht wirkte die große Eingangshalle noch größer. Sanftes Sonnenlicht fiel durch das farbige Glas der beiden hohen Bogenfenster, die sich wie Säulen rechts und links der Treppe erhoben. Herrliche Morgenfarben ergossen sich über den Holzboden und erwischten eine Versammlung von Staubteilchen beim Tanz.
Ich blieb einen Augenblick lang stehen und streckte meine Hand aus, als ob ich ein Staubteilchen fangen könnte wie einmal einen Regentropfen an einem Nachmittag in Oregon.
Julia zog an meiner Hand. «Komm.»
Ich beeilte mich, ihr in den Salon zu folgen. Alle Spuren der Party von letzter Nacht waren beseitigt. In der Ecke blinkten Lichter an einem großen grünen Weihnachtsbaum. Unter dem Baum lag ein Haufen wunderbar verpackter Geschenke. Ellie hatte letzte Nacht ganze Arbeit geleistet.
«Oooh!» Julias eifrigen Blick hätte man fotografieren müssen. Ich wünschte, ich hätte eine Kamera zur Hand gehabt, um den magischen Ausdruck in ihren Augen festhalten zu können. Sie trat einen Schritt zurück und schaute nur, ohne etwas anzufassen. Vielleicht kannte sie die Familientraditionen. Ich nahm an, sie wusste, dass sie auf die anderen zu warten hatte. Aber vielleicht wollte sie auch einfach nur schauen. Alles in diesem Raum sah bezaubernd aus in dem spärlichen Morgenlicht. Das dunkle Holz des Kamins zusammen mit dem schokoladenfarbenen Leder der Sessel wirkte sehr edel. Alles in allem strahlte der Raum etwas Hoheitsvolles aus.
Ich machte es wie Julia und ließ die Eleganz dieses Raumes, der für den Weihnachtsmorgen hergerichtet war, auf mich wirken. Neben Ellies rosafarbenen Tupfern in den grünen Girlanden und den goldenen Perlenschnüren, die von den Wandleuchtern hingen, bemerkte ich weitere Details, die mir letzte Nacht entgangen waren, als der Raum voller Gäste war. Ich entdeckte die handgemalten blauen Delfter Kacheln an der Innenseite des Kamins, den großen Teppich mit den kleinen roten eingewebten Vögeln und auch das wunderschöne Muster aus ineinander verschlungenen grünen und goldenen Ranken auf den dicken Vorhängen, die am vorderen Fenster von der Decke bis zum Boden
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