Das Weinen der Engel (German Edition)
seinen blauen Augen genauso eingehend wie vorher das Tier. „Ich bringe dieses unangenehme Thema nicht gern zur Sprache. Aber was hast du mit der Frau und dem Kind vor, wenn du sie nach L.A. zurückgebracht hast? Du weißt genauso gut wie ich, dass Alvarez es nicht auf sich beruhen lässt. Er wird sie weiter verfolgen. Wenn er herausfindet, dass du dahintersteckst, wird er auch hinter uns her sein. Die einzige Möglichkeit, niemanden von uns allen in Gefahr zu bringen, ist, ihn zu töten.“
Dev betrachtete Cantrell, ließ den Blick über seinen kräftigen Hals schweifen, das feste, markante Kinn und die breiten Schultern, die sogar noch kräftiger waren als die seines Bruders Gabe. Jake hatte recht, dessen waren sich beide bewusst.
„Der Mann ist ein Mörder“, sagte Dev. „Er hat weiß Gott wie viele Tote auf dem Gewissen.“
„Hunderte, würde ich sagen. Über die Jahre vielleicht sogar Tausende.“
„Ich wollte nicht in Larks Gegenwart darüber sprechen, aber wenn ich ihn erwische, schalte ich ihn aus.“
Cantrell schien diese Antwort zu befriedigen. „Wer auch immer in seine Fußstapfen tritt, wird sich einen Scheißdreck um das Kind kümmern. Der wird genug damit zu tun haben, um die Zügel der Organisation straff zu halten und alles unter Kontrolle zu bringen.“
„Die Entführung des Mädchens war eine persönliche Angelegenheit von Alvarez. Wenn er verschwindet, sind Lark und Chrissy sicher.“
Jake drehte sich zu den heruntergekommenen Blechhütten um, in dem die Männer Quartier bezogen hatten. „Ich denke, dass wir uns in diesem Punkt alle einig sind, aber ich werde es weitersagen.“
Dummerweise würde es trotz aller Überwachung nicht einfach sein, den Mann in seinem über zwölftausend Quadratmeter großen Anwesen zu finden. Und an ihn heranzukommen würde noch schwieriger sein.
Jake bückte sich, hob einen abgebrochenen Mesquitenzweig auf und stieß ihn mit der Spitze in den Sand. „Wirst du mir deinen Plan B verraten, falls du ihn nicht erwischst? Da ich dich genau kenne, weiß ich, du hast einen.“
Dev musste fast grinsen. „Den habe ich auch. Ist aber immer noch nicht ganz ausgereift.“ Und die Idee kam ihm immer verrückter vor. „Lass uns fürs Erste davon ausgehen, dass wir Alvarez eliminieren, Chrissy holen und uns verdammt noch mal aus dem Staub machen.“
Jakes Gesichtsausdruck verriet, dass er hoffte, es würde so einfach sein.
Antonio Alvarez lehnte sich in seinem roten Ledersessel hinter dem mit Gold verzierten und einer Marmorplatte bedeckten Schreibtisch zurück. Er paffte an seiner dicken kubanischen Zigarre und blies einen satten grauen Rauchring in die Luft.
Ihm gegenüber standen Santos und Zepeda, das kleine Mädchen in ihrer Mitte. Hübsches Kind, dachte er, mit den dunklen Locken und den großen grünen Augen. Die Kleine war ein bisschen größer als sein Sohn Alberto, der fast im selben Alter war.
Sie stand ein kleines Stück hinter den beiden Männern, sah ihn aber direkt an und wich seinem Blick nicht aus. Die Männer, die Santos bezahlt hatte, damit sie das Kind entführten, hatten ihren Job erfolgreich ausgeführt. Bis auf den Idioten, der sich dabei hatte erschießen lassen.
Er musste fast grinsen. Diese Amerikanerin hatte Mut. Das musste er ihr zugestehen. Trotzdem hatten seine Männer sie besiegt. Mithilfe eines mit Chloroform getränkten Tuchs hatten sie das Kind betäubt, bis sie die Grenze passiert und sie in den Flieger geladen hatten. Selbst nachdem das Flugzeug auf seiner privaten Landebahn aufgesetzt und sie das Kind hierher ins Haus gebracht hatten, war sie ruhig und still gewesen.
Er mochte artige Kinder.
„Komm mal her, meine Kleine“, sagte er auf Englisch.
Sie antwortete nicht, blieb auf der Stelle stehen und starrte ihn mit leicht erhobenem Kinn an. Genauso aufrührerisch wie ihr Vater, dachte er.
„Tu, was ich dir sage,
niña
. Du willst doch nicht, dass ich böse werde.“
Sie zögerte noch etwas, dann ging sie auf ihn zu. Sie trug immer noch ihren pinkfarbenen Pyjama, auf den kleine Zirkuspferde mit Federkopfschmuck aufgedruckt waren.
„Wie heißt du denn?“
„Ich will zu meiner Tante Lark. Wo … wo ist meine Tante?“
„Ich habe dich nach deinem Namen gefragt.“
„Wer bist du?“
„Ich bin der Mann, der bestimmt, was mit dir passiert. Und jetzt antworte mir.“
Sie wollte nicht. Das sah er an der Art, wie sie ihre Augen zukniff und die Lippen aufeinanderpresste. Aber sie war alt genug, um zu verstehen,
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