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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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schläft gerade«, sagte Mary.
    »Dann sollten wir ihn nicht aufwecken«, sagte Alta.
    Wir gingen zum Speiseraum, zur Kantine oder wie immer das hieß, und tranken einen Kaffee.
    »Die Ärzte geben ihm höchstens noch 6 Wochen. Er wäre lieber zu Hause, aber sie müssen operieren. Noch mehr wegschneiden. Die Beine.«
    Himmel, dachte ich, wie viel denn noch? Um sechs Wochen für ihn rauszuholen?
    »Ich habe ihm ein paar von Ihren Sachen vorgelesen, und sie gefallen ihm.«
    »Danke.«
    Ein Patient kam herein; er wirbelte durch den Raum und unterhielt sich dabei mit sich selbst. Dann ergriff er eine leere Kaffeetasse und sprach hinein.
    »Gott trägt grüne Strümpfe«, sagte er. »Gott hat neun Köpfe und keine Geschlechtsorgane. Sein Lieblingssport ist Baseball …«
    Er stellte die Tasse wieder hin und ging hinaus.
    »Das ist der ehemals berühmte Schauspieler V. M. … Er ist harmlos.«
    V. M.? Das war V. M.? Der hübsche Sklavenjunge, der die Tempel über den Köpfen der Heiden zum Einsturz brachte, nachdem er die Löwen getötet hatte?
    »Vielleicht ist John jetzt wach«, meinte Mary.
    »Wir könnten ein andermal wiederkommen«, sagte Alta.
    »Versuchen wir’s«, sagte Mary.
    Wir gingen zum Zimmer zurück. Mary spürte, dass er wach war.
    »John, du hast Besuch …«
    Ein kleiner Kerl lag da unter der Decke. Von seinen Beinen war nicht viel übrig. Die Arme, die Hände hatten sie drangelassen. Die Hände sahen sehr blass aus. Aber sein Gesicht war toll, ein kleines Bulldoggengesicht. Viel Zähigkeit lag darin. Ein freundlicheres Wort dafür ist »Mut«.
    Ich ergriff seine Hand. »Tag, John, ich bin Chinaski. Und bei mir ist Alta.«
    Auch Alta gab ihm die Hand. »Tag, John, wir freuen uns, Sie zu sehen. Wenn wir irgendetwas für Sie tun können, sagen Sie Bescheid.«
    Mary faltete sein Kissen, damit sein Kopf höher lag.
    »Hört mal«, sagte er, »kann einer das Fenster ein bisschen aufmachen? Es ist sehr warm hier.«
    Alta stand auf und öffnete das Fenster einen Spalt weit.
    »Ich habe sehr lange nach Ihnen gesucht, John, 40 Jahre. Früher habe ich auch in Bunker Hill herumgehangen und gehungert, genau wie Sie.«
    »Ihre Stimme ist sanft«, sagte er, »aber ich wette, Sie können knallhart sein, wenn Sie wollen.«
    »Gut erkannt«, meinte Alta.
    Ich erzählte Bante, wie ich das Hotel ausfindig gemacht und an die Tür seines Zimmers geklopft hatte. Wo ich über das Geländer gesprungen war und wie das Hotel ausgesehen hatte.
    Er lächelte. »Da waren Sie falsch.«
    »Bitte?«
    »Ich habe in dem Hotel ein Stück weiter oben gewohnt.«
    »Na ja, dafür habe ich Sie jetzt gefunden …«
    »Stimmt …«
    »Eine Zeit lang waren Sie mir entwischt.«
    »Ja, meine desaströse Hollywoodkarriere.«
    »Bestimmt haben Sie da auch gute Sachen gemacht. Von irgendwas muss man ja leben …«
    »Klar«, meinte er lächelnd.
    »Können wir Ihnen ein Glas Wasser geben oder so was?«, fragte Alta.
    Alta hatte mehr gesunden Menschenverstand als ich.
    »Ja, kann mir jemand eine Zigarette anzünden?«
    Mary nahm eine Zigarette aus dem Päckchen neben dem Bett und steckte sie John zwischen die Finger. Er hob sie zum Mund, und Mary hielt ein Streichholz dran.
    John zog den Rauch ein. »Danke.«
    »Wie war es denn in Hollywood, John?«
    »Wie es halt so war. Jeder Autor hatte sein eigenes Studio. Wir waren fest angestellt. Viel getan haben wir nicht. ›Sie hören von uns, wenn wir Sie brauchen‹, hieß es. Monate vergingen. Faulkner war auch eine Zeit lang da. Er ging immer in sein Studio und fing an zu bechern. Er trank jeden Tag. Ohne Ausnahme. Abends mussten wir ihn da rausholen und in ein Taxi setzen. Wir sind fürs Nichtstun bezahlt worden, einfach nur fürs Dasein. Es war, als hätten sie uns die Eier abgeschnitten und uns das Gnadenbrot zugeteilt. Uns fürs Schmoren in der Hölle bezahlt.«
    »Trotzdem haben Sie diese Bücher geschrieben, John; das hätte niemand anders gekonnt.«
    »Ich habe nicht genug gemacht«, sagte er, »ich hab’s hingeschmissen.«
    »Es war genug.«
    »Sie sollten mal hören, wie Hank von Ihnen redet«, sagte Alta.
    (Hank war ich. Der da saß.)
    Darauf wurde es still. Alta beugte sich vor und hielt ihm die Hand.
    »Sie sind ein gutes Mädchen«, meinte er. »Glück für Hank.«
    »Ja«, sagte ich.
    Dann sprach John wieder. »Die haben so einen forschen jungen Arzt hier. Der kommt rein, untersucht mich kurz und sagt: ›Soso, na dann. Wir werden Ihnen noch mal was absäbeln müssen, alter

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