Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
was Gutes geschah.
Das Telefon klingelte erneut.
»Hallo«, meldete ich mich.
Die Stimme sprach gleichmäßig und monoton, ohne Hebung oder Senkung in den Wörtern. Es war wie eine Aufzeichnung: keine Emotion, nur etwas Endgültiges: »Ich wollte dich umbringen, aber ich kann nicht garantieren, dass ich’s nicht noch mal versuche.«
»Wir waren uns aber doch einig, dass du das sein lässt, wenn ich nicht zur Polizei gehe.«
»Ich kann für nichts garantieren«, sagte sie. »Verstehst du?«
Sie legte auf.
Sporting Times? Yeah?
Ich stand von der Maschine auf, ging zurück in die Küche und goss mir ein großes Glas voll …
Ich schrieb das Vorwort zu Sporting Times . Es ging leicht von der Hand. Dann las ich es durch. Wenn ich zugab, dass ich von John Bante so stark beeinflusst war, konnte das natürlich von meiner eigenen Arbeit ablenken, so als wäre sie zum Teil ein Abklatsch, doch das kümmerte mich nicht. Man erstickt an dem, was man verbirgt. Ich schickte das Vorwort an Larkin, der in Santa Barbara wohnte. Larkin war einer von denen, die sich reinhängen. Schon rief er mich an.
»Das Vorwort ist gut. Übrigens hab ich mit Mary Bante gesprochen, Johns Frau. Sie sagt, John möchte Sie sehen.«
»Herr Jesus!«
»Es gibt Komplikationen. Er hat fortgeschrittenen Diabetes. Er ist blind und amputiert; sie mussten ihm ein ganzes Stück von den Beinen wegschneiden.«
»Ich wusste nicht, dass Diabetes so schlimm sein kann …«
Mehr brachte ich nicht raus. John Bante, der wahrscheinlich beste Schriftsteller der Welt, zerschnippelt und blind!
»So oft passiert das nicht mehr. Ihn hat’s erwischt, bevor die Technik so weit war.«
»Himmel, Arsch …«
Dann fiel mir die Story von Bante ein, in der sein Vater dasselbe hat, auf medizinische Ratschläge pfeift und sich zu Tode trinkt.
»Die Ärzte meinen, er hat nicht mehr lange. Mary sagt, er fand Ihr Vorwort toll. Jetzt fängt er einen neuen Roman an …«
»Ja, aber …«
»Er diktiert ihn Mary …«
»Himmel, Arsch …«
»Jedenfalls möchten die beiden Sie gern sehen. Ich habe ihre Telefonnummer …«
Das Wort »sehen« passte nicht ganz. Aber ich ließ mir die Nummer geben. Ich rief an. Mary nahm ab und erzählte mir, welchen Auftrieb die Neuveröffentlichung von Sporting Times John gegeben hatte.
»Er muss aber wieder ins Krankenhaus. Wenn Sie zu ihm möchten, müssen Sie ihn da besuchen.«
»Natürlich möchte ich zu ihm. Das wollte ich schon vor vierzig Jahren.«
Wir machten ein Datum aus, und ich ließ mir erklären, wie ich fahren musste. Bei meinem Orientierungssinn konnte ich mich sogar auf dem Weg zum Supermarkt verfahren. Zum Glück lebte ich mit einer guten Frau zusammen, Alta.
Ich zeigte ihr die Wegbeschreibung. »Alta, Kleines, meinst du, du kannst mir helfen, dass ich das finde?«
»Klar.«
»Du hättest also nichts dagegen, mitzukommen?«
»Iwo. Ich würde John gern kennenlernen.«
Sie hatte viel über Bante zu hören bekommen, wenn ich betrunken war. Wie blöd die Welt sei, dass sie von seinen Büchern nichts wusste. Wie blöd die Welt sei, dass sie Typen wie Mailer, Capote, Cheever und Updike ehrte, wenn doch ein einziger schlichter und verblüffend klarer Absatz von John Bante mehr aussagen konnte.
Die Besten gelangten nicht immer an die Spitze, weder in der Literatur noch in der Musik, der Malerei, beim Film, in der Politik oder sonstwo. Das war in der jahrhundertelangen Geschichte der Menschheit nichts Neues.
»Gut«, sagte ich zu Alta. »Dann fahren wir.«
Es war das Motion Picture Hospital, seltsamer Name. Als Filme noch neu waren, hatte man sie sich als Bilder in Bewegung gedacht. Das Krankenhaus war bestimmt für Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren, Kameraleute, alle, die längere Zeit beim Film gearbeitet hatten. »Hollywood« wurde es genannt, aber Hollywood war nicht mehr da. Hollywood war jetzt für Arme.
Jedenfalls parkte ich, und Alta und ich stiegen aus. Die Klinik war komplett auf einer Ebene angelegt und bot ein friedliches Bild. Die meisten Zimmer waren Einzelzimmer. Toll. Meine Krankenhauszeit hatte ich vorwiegend in großen, mit Betten vollgestellten dunklen Räumen verbracht, die eher an schnell improvisierte Notunterkünfte in Kirchenkellern nach einem Luftangriff erinnerten.
Wir ließen uns sagen, wo das Zimmer war, und standen gerade davor, als eine Frau heraustrat. Sie war dünn, elegant, traurig.
»Chinaski?«, fragte sie.
»Ja, Mary«, sagte ich. »Das ist Alta.«
»Er
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