Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
rüber. Ich stellte mich an seinen Tisch. Er unterhielt sich gerade mit der einen Frau … Ich glaube, die indische Zigarette ist mir ausgegangen …«
Alta stand auf und zündete ihm die Kippe mit ihrem Feuerzeug wieder an. »Die gehen immer aus, weil sie ohne Chemie sind.«
»Danke, Alta … Jedenfalls, ich stand da, und dann sagte ich: ›Verzeihung, Mr Lewis …‹ Er hob den Kopf. Auch seine Begleiterinnen sahen mich an. ›Ich bin Schriftsteller. Mein Name ist John Bante. Sie sind seit langem mein Lieblingsautor. Ich möchte Sie wirklich nicht stören, aber hier bin ich. Würden Sie mir vielleicht Ihr Autogramm geben?‹«
Eine Pause trat ein. John trank seinen Wein aus. Es war, als stände er wieder im Musso , am Tisch von Big Red. Dann erzählte er weiter.
»Sinclair Lewis tat, als wäre ich gar nicht da. Ohne das Blatt Papier zu beachten, das ich ihm hinhielt, nahm er das Gespräch mit der Frau wieder auf.«
»So ein Arschloch«, sagte ich.
»Ich ging zu meinem Tisch zurück und dachte über das Ganze nach. Und je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr nahm ich es mir zu Herzen. Big Red hatte mich ignoriert. Ich rief den Ober und bezahlte. Dann ging ich noch mal zu Lewis an den Tisch. Als er mich ansah, sagte ich: ›Hören Sie, ich bin beim gleichen Verlag wie Sie, Sie Bastard. Vielleicht interessiert es L. H. Renkin ja zu hören, was für ein eingebildeter Affe Sie sind!‹ Dann bin ich zum Ausgang. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er aufstand und mir nachkam. Ich ging hinten raus, stieg schnell in meinen Wagen und nahm den Kopf runter. Ich sah, wie er hinten rauskam und sich umschaute. Er sah verängstigt aus. Aber er entdeckte mich nicht. Er blieb eine Weile da stehen, dann ging er wieder rein. Ich hatte ihm eine Heidenangst eingejagt!«
Offen gestanden gefiel mir die Geschichte nicht; mir schien, da war einer eitler als der andere. Aber ich konnte verstehen, dass Bante von seinem Helden enttäuscht war, und gut war auch, dass Bante überm Erzählen seine Erblindung vergaß und was sie mit seinen Beinen gemacht hatten.
»Komische Geschichte«, meinte ich. »Haben Sie L. H. Renkin davon erzählt?«
»Nein … nein, natürlich nicht …«
Die indische Zigarette war abgebrannt, und ich nahm sie ihm aus der Hand.
»Gießt Hank noch mal Wein nach«, sagte er. »Ich weiß, dass Hank gern Wein trinkt. Mary hat mir seine Bücher vorgelesen …«
»Ich hab noch, John, danke …«
»Mögen Sie den Wein?«
»Ja, er ist ausgezeichnet. Machen Sie sich um mich keine Gedanken. Mich freut, dass ich hier bin.«
»Und mich auch«, sagte Alta.
»Sie kümmern sich um ihn, Alta, ja? Er braucht Hilfe …«
»Ich kümmere mich um ihn, John …«
Bante saß eine Zeit lang da. Das kleine Bulldoggengesicht schien ein wenig schlaff zu werden.
»Jetzt bin ich müde … Würden Sie mich bitte entschuldigen?«
»Natürlich, John …«
Mary kam um den Tisch herum, trat hinter den Rollstuhl und zog ihn vom Tisch weg, um ihn ins Schlafzimmer zu fahren.
»Gute Nacht, John …«, sagten wir alle.
»Gute Nacht«, sagte er.
Mary schob ihn ins Schlafzimmer. Sie blieb eine Weile dort, dann kam sie wieder zu uns.
»Sie können sich nicht vorstellen, was ihm das bedeutet hat, die Wiederentdeckung seiner Bücher und dass wieder jemandem an ihm liegt. Seit es ihm so schlimm geht, haben ihn alle praktisch fallenlassen. Leute, die wir seit Jahren kannten, sind einfach weggeblieben. Es war, als wäre er aus dem Rennen und keiner interessierte sich mehr für ihn.«
»Gerade dann sollte man Anteil nehmen«, sagte Alta.
»Nur funktioniert das nicht so«, meinte Harry.
»Es ist wie eine geistige Sperre«, sagte Nana, »als hätten sie ihn schon begraben …«
Mary schenkte Wein nach. Sie sah mich an. »Sie haben ihm einmal geschrieben. Den Brief lässt er sich manchmal von mir vorlesen …«
»Ja, verdammt«, sagte ich, »ich bin ein Teufelskerl …«
»Nein, Hank, das hat ihm wirklich geholfen.«
»Da war kein Mitleid dabei. Es hat alles gestimmt.«
»Jetzt ist er voll bei seinem neuen Roman. So 60 Seiten, würde ich sagen, und es liest sich witzig und gut …«
»John kann schreiben«, sagte ich. »Viel besser als Big Red.«
»Mögen Sie den Wein? John hat Ihre Marke rausgefunden. Wollte er unbedingt.«
»Der Geschmack kam mir auch bekannt vor.«
Dann ertönte ein Heulen aus dem Schlafzimmer hinten im Haus. Es war kein menschliches Heulen. Es war das Aufheulen eines verwundeten Wolfs, der
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