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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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in Weiß, sie ist immer in Weiß. »Abends kühlt es jetzt schnell ab, nicht?«, sagt sie zu mir. »Allerdings«, antworte ich.
    Ich kann zu Fuß zu Von’s gehen. Geradeaus die Oxford hoch, dann links ab zur Western. Ich wohne in einer Mietshausstraße. Einer besonderen. Die Leute hier saugen jeden Tag Staub und gehen nie schlafen, ohne vorher abzuwaschen. Sie benutzen Raumspray und schauen abends drei Nachrichtensendungen. Keiner hat Kinder oder Hunde oder Schlafstörungen, und wenn sie trinken, tun sie es ganz im Stillen und lassen ihre Flaschen im Müll verschwinden. Jeden Abend um zehn tritt absolute Ruhe ein. Ich gehe an einer Parterrewohnung mit einem großen Fenster zur Straße vorbei. Für mich ist das die Wohnung der Dolly Sisters. Die Dolly Sisters sitzen den ganzen Tag an dem großen Fenster, unterhalten sich, trinken Tee und essen Plätzchen. Sie haben viel Schminke auf den harten, dümmlichen Gesichtern, die grauen Haare sind rot gefärbt, und sie tragen zehn Zentimeter lange falsche Fingernägel; ihre Lippen sind dick bepackt mit rotem Lippenstift. Sie sehen mich vorbeigehen, und ich nicke ihnen zu wie ein Herr vom Land. Sie halten mich für einen Zirkusconférencier auf Rente. Sie ahnen nicht, dass ich ein heruntergekommener Schriftsteller von Weltrang bin. Alle drei betrachten mich, und eine schenkt mir ein breites Lächeln, es ist wie der Todeskuss eines Leprakranken. Sobald die Sonne untergeht, wird ein riesiger violetter Vorhang vor die Scheibe gezogen. Die Dolly Sisters haben Angst, vergewaltigt zu werden.
    Bei Von’s ist es ziemlich leer, die Berufstätigen sind noch nicht da. Ich hole mir einen Wagen, weil ich noch das eine oder andere mitnehmen will, wenn ich schon Klopapier brauche. Ich biege um die Ecke, und da sehe ich sie: Stöckelschuhe, kurzer Rock, weiße Bluse, die Haare hochgetürmt. Der Rock ist nicht nur kurz und eng, sondern hat auf beiden Seiten einen langen Schlitz. Die Strumpfhose ist oben dunkel abgesetzt, so dass sie nach einem Paar Nylons aussieht, wie Frauen sie getragen haben, als sie noch Frauen waren. Aber es ist eine Strumpfhose. Die dunkle Partie sieht man nur, weil der Schlitz im Rock so hochgeht. Die Frau ist Ende dreißig, mit eher hässlichen, einfältigen Zügen, zwei Perlohrringe baumeln an langen, dicken Kettchen, ihre Wangen sind eingefallen, der Mund klein, schlaff und dümmlich, aber sie ist hochgewachsen, und ihr Körper bewegt sich, und die Schlitze sind da, und sie bückt sich und greift nach einer Dosensuppe, und einen Moment lang sehe ich den Saum ihres Höschens. Sie richtet sich auf. Sie weiß, dass ich sie beobachte, lässt sich aber nichts anmerken. Ich fahre nicht allzu auffällig hinter ihr her. Ihr Rock ist weiß mit rosa Streifen. Die Farben flutschen mir ins Hirn. Wieso hat sie diese Schlitze im Rock?, frage ich mich. Ich kann die Frage nicht beantworten. In der Fleischabteilung bin ich neben ihr. Sie steht vor den Lammkoteletts, starrt auf die Lammkoteletts.
    »Entschuldigung«, sage ich.
    Sie sieht mich an, macht aber nicht den Mund auf. Ihre Augen sind ausdruckslos, leer.
    »Entschuldigung«, wiederhole ich.
    »Ja«, sagt sie.
    »Sind Sie nicht die Sekretärin von Henry Miller?«
    »Henry Miller?«
    »Ja, der Schriftsteller.«
    »Nein, ich bin nicht seine Sekretärin.«
    Sie wendet sich ab und sieht wieder auf die Lammkoteletts. Es ist, als wäre meine Hand losgelöst von meinem Willen. Ich merke, wie sie sich auf die ihr nächste Pobacke zubewegt, und kann sie nicht aufhalten. Die Hand landet federleicht auf der Backe unter dem rosa gestreiften Rock, und die Finger kneifen sacht hinein, ehe sich die Hand wieder hebt. Ich schiebe meinen Wagen weg. Fünf Gänge weiter blicke ich zurück. Sie steht immer noch vor den Lammkoteletts, ist aber knallrot im Gesicht. Ich schaue nicht weiter. Ich fahre zur Kasse, um zu bezahlen. Ich habe mein Klopapier und eine Dose haschiertes Cornedbeef. Die Warteschlange ist kurz. Schon bin ich draußen und kaufe eine L. A. Times . Ich will die Rennergebnisse wissen. Ich wende mich nach Osten, Richtung Oxford, und gehe nach Hause. Die Dolly Sisters sind gerade dabei, ihren violetten Vorhang zu schließen. Es geht auf Abend zu. Ich schaffe es, in meine Wohnung zu kommen, ohne dass mich jemand anspricht. Ich hänge das Klopapier auf und lege mich auf meine grüne Couch. Oben ist nichts als die Decke. Das Leben eines Schriftstellers ist unerträglich.
    Einmal war ich auf einer Party, erzählte sie mir, und ich war

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