Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
ich ihn Dir mal. Wir waren zu dritt, Du, ich und meine Schwester. Du sagtest, Du wolltest mit ihr schlafen – sie hatte einen roten Strohhut auf dem rabenschwarzen Haar –, und ich sagte nein. Du hast mich angesehen und sie bei der Hand genommen. Sie war still und überlegen. Teufel, sagte ich, das seh ich mir an … Da niemand was dagegen hatte, setzte ich mich auf den Bettrand und sah zu. Es gab keine fleischliche Vereinigung (d.h. ihr habt nicht gevögelt), aber einen langen, schönen, besitzergreifenden Kuss. Ich drehte den Kopf weg. Szenenwechsel. Jetzt sind wir zu dritt bei mir im Schlafzimmer, und ich liege auf einem schmalen, SCHMALEN Bettchen, in das nur einer passt. Du kommst gerade vom Schneider und trägst einen neuen Anzug, der noch nicht ganz fertig ist, man sieht so große Nähte an den Rändern. Außerdem hast Du einen irischen Hut auf, und den wirfst Du mit großer Geste lächelnd auf den Boden. Ich komme mir vor wie ein Patient vor der OP – meine Schwester steht da in ein Handtuch gehüllt und hat dicke blaue Adern an den Schenkeln.
Ihr werdet gleich zu ihr gehen, weil sie ein Doppelbett mit Daunensteppdecke hat, aber erst mal beugst Du Dich über mich – Du bist dreimal so groß wie in Wirklichkeit, ein Laird Cregar … falls Du Dich an den erinnerst – und küsst mich mitten auf den Mund und drückst mir ein paar Münzen in die Hand. »Behalt dein Kleingeld«, sage ich, und mir bricht das Herz in Erwartung dessen, was kommen wird. »Ach, Liebchen!« (ich lese nämlich gerade Donleavy), sagst Du, »das ist kein Kleingeld, die Pferde waren gut zu mir, schau noch mal hin«, und tatsächlich sieht man, es sind lauter 10- und 20-Dollarstücke. Es ging noch weiter, aber das ist wirr.«
Ich werfe den Brief weg und gehe pissen, komme raus und lege mich auf der grünen Couch lang. Meine Freundin war Taxitänzerin, nicht die, die den Brief geschrieben hat. Aber das ist vorbei. Jetzt ist sie Barkeeperin in einer Seitenstraße der Alvarado Street, und sie wird schicke Alkoholiker kennenlernen, und dann bin ich wieder allein. Ich gucke an die Decke. Schriftsteller bin ich angeblich. Ich kann nicht mehr schreiben. Darauf haben alle gewartet. Bukowski, der harte Hund, unfähig, abgelascht und tatterig. Mein Gott, mit Pauken und Spruchbändern werden sie durch die Straßen ziehen. Ich werde keine Hassbriefe mehr bekommen.
Nun, die Menschen ändern sich, und das geht nicht immer gut. Tolstoi wandte sich am Ende Gott zu und wurde seicht. Gorki hatte nach der Revolution nichts mehr, worüber er schreiben konnte. Dos Passos wurde Kapitalist, mit einem Gesicht wie ein Herrenfriseur, und starb in den Bergen hier über mir. Céline wurde plemplem und konnte nicht mehr lachen. Schostakowitsch änderte sich nie, schrieb seine Fünfte Sinfonie und schrieb sie in allen, die ihr folgten, immer wieder. Mailer wurde ein kluger Journalist, wie Capote auch. Pound wurde einfach immer unzugänglicher und sagte Adieu. Spender stieg aus, Auden stieg aus, Olson biederte sich beim Publikum an. Creeley wurde wütend und verbissen. Abraham Lincoln hasste die Schwarzen, und Faulkner trug ein Korsett. Ginsberg hörte sich selbst zu gern und erlag seiner Stimme. Und Henry Miller, alt und längst alle, fickt schöne Japanerinnen unter der Dusche.
Und ich steh auf, weil das Kaffeewasser kocht, und mache mir eine Tasse Kaffee. (Meine Freundin hat ein großes Haus, und da bin ich oft. Ich sehe mit ihrem Zwölfjährigen fern. Er sieht viel mehr fern als ich, aber ich halte noch ganz gut mit. »Wie viele Werbespots hast du heute schon gesehen, Junge? Hundert?« »Nee«, antwortet er, »mehr.« Wir schauen einen Film nach dem anderen. »Gleich«, sage ich, »kommt der Bruder mit dem Messer rein.« Der Bruder kommt mit dem Messer rein. »Jetzt ist der Sarg leer«, sagt der Junge. Der Sarg ist leer. Hat man einen Film gesehen, hat man sie alle gesehen. Es ist immer wieder das Gleiche. Meine Freundin sitzt nebenan und schreibt zig neue Gedichte.)
Ich trinke den Kaffee, dann nehme ich ein Bad. »Irgendwann erzähle ich ihnen von dir«, sagt meine Freundin. »Dann erzähle ich, dass du Angst vorm Dunkeln hast, dass du fünfmal am Tag badest, aber keine Seife nimmst, dass du ein Messer an der Tür kleben hast.« Ich fürchte, das interessiert niemanden.
Ich trockne mich ab und ziehe mich an. Ich habe kein Klopapier mehr. Also noch mal zu Von’s. Ich gehe die Treppe runter. Höre einen Besen.
Es ist die Verwalterin, sie fegt. Ganz
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