Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
schlechtgeht. Danach trank ich noch ein Bier. Bill sah immer noch schlecht aus; es lag an den Tabletten, dem Stoff. Es wurde immer dunkler. Ruthie rief an und sagte, ein Tornado sei im Anzug. Draußen sah es aus wie Mitternacht, und der Wind wehte und wehte. Ich trank noch ein Bier und buchte meinen Rückflug. Ruthie kam zum Lunch vorbei, und Bill meinte: »Bukowski ist nicht unterzukriegen, den kriegt nichts klein, den Hund, er hat den Körper eines Neunzehnjährigen.« Zwei Dichter, die am nächsten Abend lesen sollten, kamen vorbei; ein junges Mädchen und ein Mann von Mitte dreißig. Sie fingen an zu reden, ohne Pause … und alles nur Geschwätz. Umso mehr wusste ich Bills lockere Art zu schätzen. Bill ging zum Bad rüber: »Bukowski, hast du beim Baden onaniert?« »Nein.« »Gut, dann brauch ich die Wanne nicht sauberzumachen.« Ruthie fuhr wieder zur Arbeit. Der Professor kam und nahm die Nachwuchsdichterin zu irgendeiner Veranstaltung mit. Der Typ quasselte weiter.
Bill kam aus dem Bad. »Mann, seit du hier bist, redest du ununterbrochen. Seit ’ner Stunde.«
»Na, das ist doch besser als brummeln. Du sitzt nur da und brummelst.«
Ich fand das Brummeln viel besser.
Bill musste zur Uni. Der Professor und die Nachwuchsdichterin kamen wieder. Bill schnallte sich ein undefinierbares Ding aufs Kreuz. »Was ist das denn, Bill?«, fragte ich. »Da sind meine Bücher und Unterlagen drin. Ich fahre mit dem Rad zur Uni.«
»Ach was, ich fahre Sie«, sagte der Professor, »draußen kommt ein Tornado auf.«
»Keine Sorge, ich schaff das schon.« Er kam zu mir. »Abschied nehmen kann ich nicht«, sagte er. »Dann lass es«, antwortete ich. Wir gaben uns kurz die Hand, und schon war er zur Tür raus und schwang sich aufs Rad. Das war am 3. April. Bill Wantling starb am 2. Mai 1974 um Viertel nach zwölf.
Ich tippte gerade ein Gedicht, als das Telefon klingelte. Ruthie sagte es mir. Als sie aufgelegt hatte, rief ich meine Freundin an, die als Barmixerin arbeitete. »Wantling ist tot«, sagte ich, »Ruthie hat gerade angerufen. Wantling ist tot.« Mir liefen die Tränen; ich zitterte. »Entschuldige«, sagte ich, »du weißt, wie gern ich ihn hatte.« Ich legte auf. Es stimmte. Bill war einer der wenigen Männer gewesen, mit denen ich etwas anfangen konnte. Ich war den Tod gewohnt, ich kannte den Tod, ich schrieb darüber. Ich ging mir Alkohol kaufen und soff mich zu. Am nächsten Morgen war es gut, es hatte sich gesetzt; die erste Welle hatte mich aus der Fassung gebracht.
Zuletzt hat Bill sich auf Stil konzentriert. Mit Stil kannte er sich aus – er war Stil, er hatte Stil. In einem Brief fragte er mich mal: »Was ist Stil?« Ich antwortete ihm nicht. Ich hatte zwar ein Gedicht mit dem Titel »Stil« geschrieben und nahm an, dass ihm das als Antwort nicht ganz reichte, aber ich überging die Frage trotzdem. Nachdem ich Bill nun kennengelernt habe, weiß ich, was Stil ist.
Stil bedeutet, keinerlei Schutzschild.
Stil bedeutet, keinerlei Fassade.
Stil bedeutet völlige Natürlichkeit.
Stil bedeutet, als Mensch allein unter Milliarden anderen zu sein.
Jetzt nehme ich Abschied, Bill.
Jaggernaut
Sie traten am 9. im Forum auf, und ich fuhr am selben Tag zur Rennbahn. Die Rennbahn liegt direkt gegenüber dem Forum, und als ich ankam, sah ich rüber und dachte, so, da läuft das also. Zuletzt hatte ich sie im Santa Monica Civic gesehen. Auf der Bahn war es heiß, und alles schwitzte und verlor. Ich hatte einen Kater, schlug mich aber ganz gut. Zum Pferderennen kann man fahren, damit man nicht die Wände anstarrt und wichst oder Ameisengift schluckt. Man läuft herum und wettet und wartet und wartet und sieht sich die Leute an, und wenn man sich die lange genug ansieht, merkt man, wie schlimm das ist, weil sie überall sind, aber man erträgt es, weil man sich leidlich daran gewöhnt und sich mehr wie ein mit dem Strom schwimmendes Stück Fleisch fühlt, als wenn man zu Hause geblieben wäre und Ezra, Tom Wolfe oder den Wirtschaftsteil gelesen hätte.
Die Rennbahnen sind auch nicht mehr, was sie mal waren: voll grölender Besoffener, Zigarrenraucher und Mädchen, die am Rand sitzen und Bein zeigen bis hinauf zum Höschen. Ich glaube, die Zeiten sind viel schlechter, als die Regierung zugibt. Die Regierung schuldet ihre Eier den Banken, und die Banken haben der Wirtschaft zu viel Geld geliehen, das sie nicht zurückzahlen kann, weil die Leute nicht bezahlen können, was die Wirtschaft zum Kauf anbietet, da
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